Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
amerikanischen Landschaften in gelben Plastikrähmchen, ein kleines Stück blauer Seife, wie er sie später in Hotelbade zimmern gesehen hatte, nur daß er damals überhaupt noch nichts von Hotels wußte, und vor allem ein Büstenhalter, ein kleiner Streifen rosafarbener Stoff, der nun wie eine Fahne an einem ihrer Bettpfosten hing. Natürlich gab es Nachforschungen, und Dworka stellte sogar ein Ultima tum, trotzdem wurde der oder die Schuldige nie gefunden, und Lotte, die Betreuerin ihres Jahrgangs, lief tagelang mit einem tragischen Ausdruck auf dem Gesicht herum. Später geriet die Angelegenheit offenbar in Vergessenheit, Osnat verzichtete darauf, den Schrank abzuschließen, und Mirjam bot ihr eine Ecke in ihrem und Srulkes Zimmer an – das roch nach Dworkas pädagogischem Ratschlag, denn Mir jam wäre so etwas nie von allein eingefallen.
Seine Besuche bei Osnat begannen immer mit einer Diskussion der notwendigen sozialen Veränderungen des Kibbuz. Der erste Besuch fand etwa zwei Wochen nach Srulkes Tod statt, und als er in ihr Zimmer trat, hielt er die Informationsblätter in der Hand, die sie ihm geschickt hatte, über zu erwartende Veränderungen in der Kibbuzbewegung im allgemeinen und in diesem Kibbuz im besonderen. Ohne sich selbst darüber Rechenschaft abzulegen, wußte er doch, daß es leichter für ihn wäre, sie zu treffen, wenn er sich an intellektuellen Gesprächen über das, was sie »das neue Konzept« nannte, interessiert zeigte. Das fanatische Aufleuchten ihrer Augen, wenn sie vom Übernachten der Kinder bei ihren eigenen Familien und über kibbuzeigene Einrichtungen sprach, bereitete ihm Unbehagen, aber er wagte nicht, etwas zu sagen. Sie benutzte seine Position als Mitglied der Knesset und des Bildungsausschusses, er brachte ihr Zeitungsartikel, auch aus der Auslandspresse, die sich mit der Struktur der Familie beschäftigten. Sie las alles gründlich und ernsthaft durch und unterhielt sich dann mit ihm über den Inhalt der Artikel und über die Notwendig keit, den Kibbuz zu verändern und ein neues Modell gesellschaftlichen Zusammenlebens zu entwickeln.
Aharon verspottete sie nie, er widersprach ihr auch nicht. Er interessierte sich zwar nicht für dieses Thema, trotzdem konnte er, auch insgeheim, nicht über sie lachen. An der Art, wie sie die Haare zusammennahm und sich über die Broschüren beugte, die er ihr brachte, und an der Art, wie sie auf seine Vorschläge reagierte, war etwas Unschuldiges und Ergreifendes. Er wußte genau, was in ihr vorging, so genau, als wäre sie durchsichtig. Er dachte an all ihre Anstrengungen, gegen das Image einer leichtfertigen Frau zu kämpfen, das ihr wegen ihrer animalischen Schönheit anhaftete, einer Schönheit, die sie ihr Leben lang ignoriert hatte, die sie als Hindernis ansah und nie ausgenutzt hatte. Alle lauerten nur darauf, es könne sich herausstellen, daß ihre wahren Fähigkeiten auf dem Gebiet der Liebe lagen, und dabei hatte sie sich, seit er sie kannte, doch nur mit Organisationsproblemen beschäftigt.
In Opposition dazu hatte sie sich immer ins Lernen vertieft, hatte viel gelesen und nichtssagendes Geschwätz und das Geklatsche ihrer Klassenkameraden gemieden. Er erinnerte sich noch, daß sie nächtelang fürs Abitur gelernt hatte, an die Geduld, mit der sie die Zähne zusammengebissen und darauf gewartet hatte, daß der Kibbuz sie zum Studium schicken würde. Von ihrem Sieg gegen den Beschluß, sie aufs Lehrerseminar zu schicken, und von ihrem Studium an der Universität hatte er damals von Mojsch erfahren, bei einem ihrer seltenen Zusammentreffen in der Stadt. Sie studierte Verwaltungslehre und Soziologie, Fächer, die ihr später bei ihrer Arbeit an der regionalen Kibbuzoberschule von Nutzen waren.
Die Vorsicht, die er bei seinen heimlichen Besuchen im Kibbuz walten ließ, das unbehagliche Gefühl, das ihn beim Anblick der geheimnisvollen Gestalt, die am Ende der Straße auftauchte, als habe sie ihn erwartet, manchmal beschlich, die vorgetäuschte Geduld bei seinen Gesprächen mit Osnat über die Zukunft des Kibbuz, erstreckten sich auch auf das Bett. Aharon betrachtete sich nicht als großen Experten, was Frauen betraf. Jahrelang hatte er es vermieden, sich auf eine länger dauernde sexuelle Beziehung mit einer Frau einzulassen, und leichtsinnige Flirts hatten ihn noch nie angezogen. Kurze Zeit nach seiner Eheschließung war ihm klar, was er instinktiv schon vorher gewußt hatte, nämlich, daß die Sache nicht gutgehen würde. Er
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