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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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dem Schreibtisch, hinter dem Hirsch nun saß, das Telefon in der Hand, gab es noch drei lange Tische. Hirsch bestellte Kaffee und bat, Dr. Kestenbaum rufen zu lassen. Durch das vergitterte Fenster hinter dem Schreibtisch war der große Rasen zu sehen, der das kleine, weiße Gebäude von der belebten Straße dahinter trennte.
    Am rechten Ringfinger des mageren Mannes, der, noch bevor der Kaffee gebracht wurde, das Zimmer betrat, prangte ebenfalls ein goldener Ring, allerdings ein schmalerer als der, den Machluf Levi am kleinen Finger trug. Michael erinnerte sich nun daran, das Gesicht schon gesehen zu haben. Wenn er den Mann bei Sitzungen getroffen hatte, hatte er immer schweigend in einer Ecke gesessen.
    »Ich lasse Sie beide jetzt allein«, sagte Hirsch. Er lächelte Kestenbaum zu: »Informieren Sie ihn über die Diagnose. Er weiß gar nicht, in was er da geraten ist.«
     
    Sie saßen einander an Hirschs Schreibtisch gegenüber. Ke stenbaum legte eine längliche Schachtel Kent light und ein schmales, schwarzes Feuerzeug auf den Tisch zwischen ihnen.
    Über seinem weißen Kittel waren der hellblaue Kragen eines Nylonhemdes und eine Krawatte zu sehen, und seine Hände, die jetzt nach dem Feuerzeug griffen und damit spielten, waren mit dunklen Flecken übersät, die verrieten, daß er, trotz seiner geschmeidigen Bewegungen, bereits ein ziemlich alter Mann war. Sein Gesicht zeigte ebenfalls dunkle Flecken, und seine dünnen Haare, straff zurückgekämmt wie die Haare der Männer in alten amerikanischen Filmen, ließen eine hohe Stirn mit tiefen Furchen frei, die ihn zugleich erstaunt und mürrisch aussehen ließen. Seine Begeisterung zu sprechen hatte etwas Rührendes. Er hatte in dem Moment angefangen zu reden, als er sich auf den Stuhl setzte, und war nur still, wenn Michael es schaffte, den langen Monolog durch die eine oder andere Frage zu unterbrechen. Kestenbaums erste Worte waren gewesen: »Früher, im Ausland, war ich nicht nur Pathologe, sondern auch forensischer Arzt, nun, wie soll ich es sagen, Kriminalist und Arzt zugleich.«
    Michael nickte und fragte höflich, von woher er nach Israel eingewandert sei. »Aus Transilvanien«, antwortete Kestenbaum. »Ich bin jetzt acht Jahre hier, davor habe ich bei der ungarischen Polizei gearbeitet.« Michael wartete. »Bevor ich Ihnen die Fakten mitteile«, sagte Kestenbaum, »hören Sie bitte zu, was ich Ihnen über die Untersuchungsmethode im allgemeinen zu sagen habe.« Und dann folgte der lange Monolog, in dem erklärt wurde, daß man, anders als in Israel, im Ausland die Leiche nicht vom Tatort zum Pathologischen Institut brachte, sondern umgekehrt den Arzt zum Tatort, daß man nichts berühre, bis der Herr der Dinge, der Gerichtsmediziner, erschienen sei. Trotz seines starken ungarischen Akzents und trotz seiner simplen Sprachkenntnisse in Hebräisch und trotz der Details, die überhaupt nichts mit diesem oder einem anderen Fall zu tun hatten, war Michael Ochajon entschlossen, kein einziges Wort des Gesagten zu verpassen. Er stellte sein Aufnahmegerät vor sich auf den Tisch. Dr. André Kestenbaum hatte keine Einwände dagegen, sondern zeigte durch sein betont gleichgültiges Schulterzucken, wie sehr er die Möglichkeit genoß, im Mittelpunkt zu stehen. Mehr als seine eigene gespannte Erwartung empfand Michael die Einzigartigkeit dieses Moments, Kestenbaums Befriedigung darüber, daß das, was er zu sagen hatte, für seinen Zuhörer tatsächlich von Bedeutung war.
    »Nun«, sagte Michael, »können Sie mir vielleicht sagen, an was sie gestorben ist?«
    »An Parathion«, antwortete der Pathologe und schaute Michael an. »Bericht habe ich noch nicht geschrieben, keine Zeit.«
    »Parathion?« wiederholte Michael verblüfft. »Sind Sie sicher?«
    »Ich habe Mageninhalt untersucht, Leber, Knochen. Ich habe Parathion gefunden«, entgegnete Kestenbaum gleichgültig.
    »Ja, ich verstehe«, sagte Michael verwirrt. »Aber was um Gottes willen brachte Sie dazu, nach Parathion zu suchen? Warum sollte jemand ...« Er faßte sich wieder, brachte seine Stimme unter Kontrolle und fuhr in normalem Ton fort: »Soweit ich weiß, findet man Parathion nur, wenn man danach sucht. Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, nach Parathion zu suchen?«
    »Ich kann erklären, wenn Sie wollen«, sagte Kestenbaum angeregt.
    »Natürlich möchte ich das wissen«, protestierte Michael. »Es ist ein Zufall, daß Sie es gefunden haben, nicht wahr? Hat es irgendwelche Symptome gegeben, die

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