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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Probleme kommen können. Und jetzt ...« An dieser Stelle richtete er sich auf und bewegte die Hand mit der Zigarette hin und her. »Ich ... die Geschichte...« Er zögerte. »Ich erzählte die wirkliche Ge schichte. Ich sage zu dem Staatsanwalt: Sie sagen, der Junge ist ungefähr eine halbe Stunde nach der Penicillinspritze gestorben. Das ist hundertprozentig kein anaphylaktischer Schock, das passiert nur ein paar Minuten nach der Spritze! Die Todesursache muß Lungenentzündung oder etwas anderes sein, aber nicht die Penicillinspritze. Weil der Tod in einer staatlichen Einrichtung passiert ist, sagt der Staatsanwalt, nur ein Gerichtsmediziner darf den Fall untersuchen. Ich habe eine Obduktion gemacht.«
    Das Rauschen des Aufnahmegeräts war zu hören, als er einen Moment schwieg und tief atmete. »Ich bin hingefahren und habe die Obduktion in der ambulanten Krankenkassenstation gemacht, wo Kind gestorben ist. Ich habe keine Symptome für anaphylaktischen Penicillinschock gefunden. Ich habe keine Gründe für den Tod gefunden, indessen ...« Michael unterdrückte ein Lächeln. Die Mischung von ausgefallenen Worten wie »indessen« mit seinen ansonsten doch sehr simplen Formulierungen verlieh Kestenbaums Sprache einen unnachahmlichen exzentrischen Reiz. »Indessen...« fuhr Kestenbaum fort, offenbar vollkommen überzeugt, fließend und gut Hebräisch zu sprechen, »... indessen ich finde in seinem Magen einen Brei aus Schokolade im ersten Stadium von Verdauung. Ich nehme alle wichtigen Proben, wie sie üblich sind.« Er sprach nun nachlässig, wie jemand, der davon überzeugt ist, daß es überflüssig ist, seinem Zuhörer wissenschaftliche Details mitzuteilen, die er ohnehin nicht verstehen würde. »So auch vom Mageninhalt. Ich habe von Anfang an gedacht, daß die Schokolade im Mageninhalt in einem Dorf gekauft ist. Ich weiß, daß es in Dörfern viele Mäuse gibt und daß die Regierung sagt, man muß Mäuse mit Pestiziden töten. Ich habe gedacht, vielleicht sind Mäuse über das Gift gelaufen und dann über Schokolade, mit Resten von Gift an den Pfoten. Vielleicht ... vielleicht... vielleicht ...« Mit jedem »Vielleicht« wuchs der Zweifel, wurde der sehnsüchtige Unterton größer. »Vielleicht ist er daran gestorben.«
    Als Michael sich später die Aufnahme immer und immer wieder anhörte, merkte er dem wiederholten »Vielleicht« die ganze emotionale Spannung an, die er selbst bei seiner Arbeit so gut kannte. Alles lag darin: die Sehnsucht nach der Lösung, wenigstens nach einem Stück des Fadens, irgendeinem Ansatz, der Stolz auf die eigene Intuition, die Bereitschaft, auch dem abwegigsten Hinweis zu folgen, und vor allem die ach so vertraute Mischung aus dem nachträgli chen enormen Stolz über das Geleistete, gemischt mit dem Zweifel, ob alles auch stimmte. Das war keine Ziererei, sondern ein Zweifel an der eigenen Intuition, ein Nichtglaubenkönnen, daß man auf diesem Weg überhaupt zu einem Ergebnis gekommen war – das alles lag in diesem »viel leicht, vielleicht, vielleicht«. In dieser dreimaligen Betonung lag auch eine Art musikalischer Höhepunkt, als rufe Kestenbaum sich selbst dazu auf, nun mit normaler Stimme weiterzusprechen.
    Wieder senkte er den Blick auf den Tisch und fuhr fort: »Am Tag nach der Obduktion waren toxikologische Untersuchungen, und sie zeigen, daß in der Schokolade tatsächlich Gift ist, Parathion. Ein Gramm davon kann fünf Menschen töten, fünf Menschen, die mehr als sechzig Kilo wiegen. Bei so einem kleinen Kind, drei Jahre alt, reichen ein paar Milligramm. Ich erfahre, daß Parathion in der Schokolade schuld ist am Tod, und fahre sofort zum Tatort, noch bevor der Junge beerdigt ist.« Er hielt inne, um zu erklären, daß im Ausland die Toten erst zwei, drei Tage nach ihrem Ableben beerdigt würden. Michael nickte.
    »Ich sage niemand außer dem Staatsanwalt, was ich denke. Ich frage also die Mutter, wo sie die Schokolade für das Kind gekauft hat. Es war Weihnachten, und die Leute kaufen nur an Feiertagen Schokolade. Sie hat die Schokolade mit der Post gekriegt. Von der ersten Freundin von ihrem Ex-Mann. Sie hat ein Päckchen mit Süßigkeiten geschickt, alles zusammen kein Pfund Gewicht, und sie gibt mir die Adresse von der Frau. Und sie sagt, der Ex-Mann ist zwei Jahre mit der Frau zusammengewesen. Sie sind vom selben Dorf. Und am Sonntag, beim Volkstanz im ...« Er stockte, suchte nach dem richtigen Wort und sagte schließlich zögernd: »... im Palast, ja, im

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