Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
Gesicht, wie je mand, der ein mathematisches Problem gelöst hat und »was zu beweisen war« darunter schreibt.
»Eine gute Arbeit«, sagte Michael. »Alle Achtung!«
Kestenbaum senkte die Lider, als habe er es nicht gehört, und sagte: »Warten Sie, das ist noch nicht das Ende.«
»Das nehme ich doch an«, sagte Michael, betrachtete seine Finger und dehnte seine Beine.
»Am nächsten Tag wußte ich, daß er heute arbeitet, als Busfahrer, ich kannte die Haltestellen. Zusammen mit dem Direktor vom Busbahnhof, genau um zwei Uhr, steige ich in den Bus und hole ihn heraus. Mit Jeep bringen wir ihn zum Gericht, wo der Staatsanwalt wartet. Davor haben wir schon seine Geliebte verhaftet und sie im Korridor auf eine Bank gesetzt. Wir führen ihn durch den Korridor, damit er sie sitzen sieht, verhaftet, zwischen zwei Polizisten.«
»Hm«, meinte Michael nachdenklich.
»Beim ersten Verhör, was wir im Zimmer vom Staatsanwalt gemacht haben, sagen wir: › Hör zu, deine Frau hat uns alles erzählt. Wenn du Kronzeuge sein willst, ist deine Strafe kleiner – sie hat uns schon alles erzählt. ‹ Und dann sagt er: › Für diese Hure habe ich mein Kind umgebracht. ‹ «
Kestenbaum erzählte nun in fast gelangweiltem Ton, als handle es sich von diesem Punkt an um den nebensächlichen Teil der Ereignisse. Wie am Schluß eines Kriminalromans, dachte Michael. Spannend ist nur der Prozeß, nicht das Ende, das man sich schon vorstellen kann. »Er erzählt, daß die Frau ihn rauswerfen wollte, weil er ein Drittel von seinem Gehalt für Kind bezahlen muß. Was war zu tun – das Kind umbringen. Sie hat also geraten, das Kind zu ermorden. Sie hat mit Labortechnikerin gesprochen, eine Fachfrau für Schädlingsbekämpfung, diese hat die genaue Menge für Tod gewußt. Am selben Abend besuchen sie Labortechnikerin, sie bringt mit einer Pipette Parathion in zwei Täfelchen Romschokolade. Diese junge Frau hat auch Adresse geschrieben. In einem anderen Zimmer erzählt ein anderes Team der Geliebten gleiche Geschichte: › Wenn du gestehst und so weiter.‹ Wir verhaften die Labortechni kerin.«
»Warum hat sie den beiden eigentlich geholfen?« fragte Michael. Kestenbaum schaute ihn erstaunt an und sagte, als sei nichts offensichtlicher als das: »Für Geld natürlich.« Dann erzählte er weiter, als sei er nicht unterbrochen worden: »Nach vier Stunden war die Anklage fertig, für alle drei: Mord durch Parathion. Der Ehemann hat neunzehn Jahre bekommen. Seine Geliebte achtzehn. Die Technikerin sechs.«
»Eine gute Arbeit, alle Achtung!« sagte Michael noch einmal und schüttelte den Kopf, um seine Bewunderung auszudrücken.
»Ich sage Ihnen was«, sagte der Pathologe, ohne auf das Lob einzugehen. »Vor acht Jahren ich bin hergekommen, da wußte ich noch nicht, daß die Arbeit trocken ist, sehr trocken. Dort in Ungarn haben wir kriminalistisch untersucht, weil ein Gerichtsmediziner muß am Tatort sein. Na ja, das war nur eine ganz kleine Geschichte. Ich habe andere, viele, ach, ich kann so viele Geschichten erzählen.«
»Da bin ich sicher«, sagte Michael mit einem Blick auf die Uhr. »Ich würde sie auch gerne hören. Vielleicht treffen wir uns ja noch einmal, wenn Sie möchten.«
»Warum nicht?« sagte Kestenbaum. Sein gleichgültiger Gesichtsausdruck konnte seinen heftigen Wunsch kaum verbergen. Michael hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen wegen seines beruflichen Erfolgs, seines vergleichsweise jugendlichen Alters, wegen seiner unbezweifelbaren Zugehörigkeit zu diesem Land und seiner Kultur, wegen der Tatsache, daß ihn das Leben verwöhnt hatte. Fast mußte er den Impuls unterdrücken, Dr. Kestenbaum zu berühren, obwohl er ihm seine Hochachtung schon so deutlich wie möglich gezeigt hatte, ohne daß er übertrieben oder iro nisch wirkte. (Dabei hätte das auffallende Hebräisch zusammen mit seinem selbstbewußten Gehabe genug Anlaß zu Ironie gegeben.) Doch warum sollte er sich eigentlich diesem Mann gegenüber als verwöhnter Glückspilz fühlen? Immerhin war der andere ein angesehener Pathologe hier am Institut. Um die Bedrückung, die ihm sein schlechtes Gewissen bereitete, wieder loszuwerden, und auch, weil er es wirklich wissen wollte, erkundigte er sich nach der Wirkungsweise von Parathion.
»Ich erkläre alles«, sagte Kestenbaum, als spräche er zu einem ungeduldigen Kind. »Ich zeige Ihnen auch gleich alles«, versprach er feierlich. Und mit einem Blick zur Decke fügte er schnell hinzu: »Parathion ist ein
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