Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
verstehen werden, ist diese Möglichkeit sehr unwahrscheinlich. Es könnte sich auch um einen Selbstmord handeln, aber man muß auch an einen Mord denken.«
»Mord? Was für ein Mord?« flüsterte Mojsch. »Wo? Hier bei uns? Osnat?« Jetzt brach seine unterdrückte Wut offen aus. »Hören Sie, wissen Sie überhaupt, was ein Kibbuz ist?« Ohne eine Reaktion abzuwarten, entschied er: »Sie wissen nicht, was Sie sagen, einen Mord können Sie gleich ausschließen. Bei uns hat es nie einen Mord gegeben, und es wird auch in Zukunft keinen geben!« Mit zitternder Hand nahm Mojsch ein Stück Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Das kann einfach nicht sein. Ich verstehe nicht, an was ist sie ... an was ist Osnat gestorben?« Und als die beiden anderen nicht sofort antworteten, schrie er fast: »Was haben Sie bei der Untersuchung gefunden?«
Michael bemühte sich um einen beruhigenden Ton. So gelassen wie möglich sagte er: »Spuren des Giftes Parathion.«
Machluf Levi riß erstaunt den Mund auf und starrte Michael an, doch der reagierte nicht darauf. »Das ist ein Fehler«, murmelte Levi und strich sich über die Stirn. »Warum sagen Sie ihm das einfach so?«
Mojsch bedeckte das Gesicht mit den Händen. Als er sie wieder herunternahm, war sein Gesicht kalkweiß. Er legte die Hand auf den Magen. »Nur einen Moment, entschuldigen Sie«, sagte er, sprang auf, nahm eine braune Ledertasche, die zwischen dem Fenster und dem Stuhl stand, holte eine große Flasche heraus und nahm einen Schluck von der weißen Flüssigkeit. Etwas davon blieb an seinen Lippen hängen. Dann sagte er: »Ich bin gleich wieder da«, und verließ das Zimmer.
»Warum haben Sie ihm das mit dem Parathion gesagt? Wie kann man ihn jetzt noch mit dem Detektor verhören?« fragte Machluf Levi verbittert.
»Ich erkläre es Ihnen später«, antwortete Michael.
Aus der nahen Toilette waren würgende Geräusche und Husten zu hören.
»Er übergibt sich«, stellte Machluf Levi leise fest. Michael schwieg. »Und jetzt? Werden Sie ihm alles sagen?« fragte Machluf Levi. »Ist er etwa nicht verdächtig? Ich verstehe Sie nicht.«
Michael starrte den Schreibtisch an und schwieg.
Als Mojsch zurückkam, war sein Gesicht grauweiß, und seine Hände zitterten. Aber seine Stimme klang beherrscht, als er sagte: »Erklären Sie mir den Fall, ich verstehe ihn nicht.«
»Alle Untersuchungsergebnisse schließen eine allergi sche Reaktion auf Penicillin aus«, erklärte Michael, »und bei der pathologischen Untersuchung wurde im Blut und im Mageninhalt eine letale Dosis Parathion gefunden. Es steht also fest, daß der Tod durch Parathion verursacht wurde. Da es sich um eine Frau handelt, die mit landwirt schaftlichen Erzeugnissen und Insektenvernichtungsmit teln nicht in Berührung kam, und es somit keine realisti sche Wahrscheinlichkeit für eine zufällige Vergiftung gibt, bleibt nur die Möglichkeit eines unnatürlichen Todes als Folge eines Mordes oder Selbstmords. Um das zu klären, sind wir hier.«
»Ihr seid doch nicht normal«, flüsterte Mojsch und fügte mit erstickter Stimme hinzu: »Osnat hat sich nicht umgebracht. Warum hätte sie sich umbringen wollen? Und wo hätte sie Parathion herkriegen sollen?« Er sprach mit der Verzweiflung eines Menschen, der versucht, eine hoff nungslose Sache vom Kopf her zu erklären. »Entschuldi gen Sie, aber Sie sind nicht normal.«
Machluf Levi senkte den Blick und drehte an seinem goldenen Ring, eine Bewegung, die Michael als Zeichen seiner Verwirrung oder Verlegenheit zu deuten gelernt hatte. Mojsch blickte Michael fragend an. Seine hellen Augen waren feucht und quollen aus dem blassen Gesicht hervor. Seine Hände zitterten unkontrolliert, er legte sie zusammen. Michael schwieg lange. »Das gerichtsmedizinische Institut hat die Sache mit dem Parathion nicht erfunden«, sagte Machluf Levi. »Wenn es nicht dagewesen wäre, hätten sie es nicht entdeckt.«
Mojsch wandte sich mit einem flehenden Blick an Michael. »Verstehen Sie überhaupt, was Sie sagen?«
Michael nickte. »Natürlich verstehe ich das«, sagte er schließlich. »Aber ich kann an den Tatsachen nichts än dern. Auch Sie, mit all Ihrer Trauer und Ihrer Angst, müßten erfahren wollen, was hier geschehen ist.«
»Ich komme noch nicht damit zurecht, daß sie nicht mehr da ist, und gerade vor einem Monat ist mein Vater gestor ben. Glauben Sie etwa, ich wäre aus Eisen? Einem die Dinge so hinzuknallen ...«
Michael sagte nichts. Er dachte, daß es egal ist,
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