Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
sich auf den Tisch, und mit einem leichten Zö gern fügte er hinzu. »Nun, es gibt ja immer ... ach, was weiß ich.«
»Was gibt es immer?« hakte Michael nach.
»Sie wissen doch, was ich meine, Neid und so was.«
»Um was hat man sie beneidet?«
»Na gut, alle wußten, wie schön sie war, und wie be gehrt sie war, sie hatte Prinzipien, und ihre Kinder sind wohlgeraten. Ich erinnere mich, als wir die neuen schönen Häuser gebaut haben, war sie eine der ersten, die einzog. Damals kam es zu allem möglichen Tratsch.«
»Wer war besonders neidisch auf sie?« fragte Michael.
Mojsch schaute ihn erschrocken an. »Was meinen Sie damit? Das ist nichts Besonderes, so etwas gibt es in allen Kibbuzim. Was denken Sie denn, was ...«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?« fragte Michael.
»Am Montag morgen, bevor man sie in die Krankenstation gebracht hat. Ich bin bei ihr vorbeigegangen, weil ich wußte, daß sie krank ist, und sie hat so eine Art, alles Physische zu ignorieren, sich zu vernachlässigen, sie vergißt zu essen, wenn sie beschäftigt ist. Deshalb bin ich morgens zu ihr gegangen, und es ging ihr wirklich schlecht. Ich habe sie gezwungen, zum Arzt zu gehen, zu Eli Reimer, dann mußte ich los, ich hatte zu tun, und dann ...« Seine Stimme brach. »Dann erst wieder, als es schon zu spät war.«
»Und am Morgen haben Sie mit ihr gesprochen? War sie da in Ordnung?«
»Sie war schrecklich krank, aber bei Bewußtsein.«
»Wer wußte noch, daß sie krank war?«
»Alle vermutlich. Schon am Sonntag abend hat Dworka, ihre Schwiegermutter, mir gesagt, daß sie krank ist und nicht nach Giw'at Chawiwa zum Seminar fahren kann, und wir haben im Speisesaal jemand gesucht, der für sie hinfährt. Im Sekretariat haben sie es auch gewußt, bestimmt haben es alle gewußt.«
»Und wer wußte, daß sie in der Krankenstation lag?« fragte Michael, jedes Wort betonend.
Mojsch dachte nach, bevor er antwortete: »Das wußten auch viele, denn beim Mittagessen hat man schon darüber gesprochen. Eli Reimer, der Arzt, war im Speisesaal. Ich wußte es, Dworka wußte es, und viele andere wußten es auch. Aber warum fragen Sie das?«
Michael schwieg.
»Mir kommt dieses Gespräch vollkommen verrückt vor«, sagte Mojsch und legte das Gesicht in die Hände.
»Wann ist sie eigentlich krank geworden?«
»Ich glaube, sie hatte schon am Samstag abend Fieber. Bei der Kibbuzversammlung hat sie gesagt, ihr wäre kalt, und dabei war es auch mit der Klimaanlage noch heiß im Speisesaal. Deswegen glaube ich, daß sie schon da krank war.«
»Wer hat ihr hier besonders nahegestanden? Mit wem können wir sprechen?« fragte Michael.
Mojsch sagte durch seine Finger hindurch: »Nun, Sie sprechen doch mit mir. Was heißt das überhaupt, nahestehende Menschen?«
»Freunde, vertraute Freundinnen, Sie wissen schon, wie das bei Frauen so ist. Eine Frau hat immer eine gute Freundin, der sie alle intimen Einzelheiten aus ihrem Leben erzählt.«
Mojsch nahm die Hände vom Gesicht. Er rieb sich die Augen. »Das weiß ich nicht«, sagte er verwirrt.
»Eine gute Freundin?« beharrte Michael.
»So etwas gibt es bei uns nicht«, behauptete Mojsch, und der verwirrte Ausdruck seines Gesichts verschwand nicht.
»Was soll das heißen, das gibt es nicht? Daß Osnat keine hatte?«
Mojsch blickte sich um. »So etwas gibt es hier überhaupt nicht. Man arbeitet zusammen, man lebt zusammen, und einer weiß alles über den anderen. Da gibt es keine Heimlichkeiten. Es gibt Leute, mit denen du im Speisesaal oder in Ausschüssen zusammensitzt, aber es gibt keine ... keine solchen Freundschaften, wie Sie es beschrieben haben.«
»Gut, also wer ist zu ihr gekommen, um eine Tasse Kaffee zu trinken oder so?«
Mojsch sah aus, als sei er gezwungen, über Dinge nachzudenken, die ihm nie im Leben eingefallen waren. »Nun, es gibt Leute, wie soll ich sagen, so eine Art Cliquen, es gibt Leute, mit denen man eng zusammenarbeitet oder mit de nen man schon da oder dort hingefahren ist, oder mit denen man zusammen in einem Arbeitskreis sitzt, aber man verbringt nicht viel Zeit damit, sich gegenseitig zu besuchen. Osnat war ziemlich aktiv, zu ihr sind viele Leute allein wegen ihrer Position gekommen, weil sie doch Kibbuzsekretärin ist ... Ja, so ist das hier.« Dann, wie zu sich selbst, sagte er: »Ja, es gibt hier Einsamkeit. Man kann nicht sagen, es gäbe keine. Es gibt Leute, die ich noch nie zu Hause besucht habe.« Und entschuldigend: »Es ist, wie ich gesagt
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