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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Abenddämmerung gingen ihm durch den Kopf. Er war gespannt und dachte an sei nen Schwager Ami, den Ehemann seiner älteren Schwester Yvette, der während des Libanonkrieges zum Reserve dienst im regionalen Hauptquartier eingezogen war.
    Er gehörte zu einem Team, das neben ihm aus einem weiteren Offizier und einem Arzt bestand und das man seit dem Jom-Kippur-Krieg als »Todesgruppe« bezeichnete, sie mußten die Angehörigen vom Tod eines gefallenen Soldaten informieren. Wenn er während der Zeit seines Re servedienstes abends nach Hause kam, sprach er mit kei nem ein Wort, aß nichts, duschte nicht, sondern schloß sich im Schlafzimmer ein, wo er sich stundenlang im Bett herumwälzte und an die Decke starrte. Nach Beendigung seines Reservedienstes war etwas in ihm zerbrochen. Er ging zu der Autowerkstatt, die ihm zusammen mit seinem jüngeren Bruder gehörte, setzte sich im Büro hinter den Schreibtisch und starrte die Quittungen und die Rechnun gen an.
    In einem Moment der Verzweiflung hatte Yvette die Kinder bei ihrer Schwiegermutter gelassen und sich mit Michael in Jerusalem mittags zum Essen verabredet. Diese Treffen waren so selten, daß Michael zwei Tage damit verbrachte, ein passendes Lokal auszusuchen. Als sie sich schließlich in einem chinesischen Restaurant gegenübersaßen, sie mit den Spare Ribs vor sich, die er für sie bestellt hatte, erzählte sie ihm mit tränenerstickter Stimme die Geschichte vom letzten Jahr ihrer Ehe. Sie berichtete von den nächtlichen Alpträumen ihres Mannes, von dem schwar zen Humor, den er entwickelt hatte, von makabren Witzen, von seinem mangelnden Interesse an ihr und den Kin dern, erwähnte auch ziemlich verlegen ihr fehlendes Sexual leben.
    »Sprich mit ihm«, hatte sie ihn gebeten. »Jemand muß mit ihm sprechen.« Dann hatte sie den Teller mit den chinesischen Gemüsen weggeschoben – dabei war sie eine große Liebhaberin der chinesischen Küche – und hinzugefügt: »Trotz der zehn Jahre Altersunterschied hat er eine gute Beziehung zu dir. Ich weiß nicht, warum er dich so schätzt, aber du mußt mit ihm sprechen.« Wieder fing sie an zu weinen.
    Michael, der vollständig den Appetit verloren hatte, bezahlte die Rechnung und ging mit ihr spazieren, Richtung Me'a Sche'arim. Auf dem ganzen Weg hörte sie nicht auf zu reden, und er hörte zu. Ab und zu legte er ihr tröstend den Arm um die Schulter, und am Schluß, als sie sich ausgeredet hatte, setzte er sich mit ihr in ein kleines Café und sagte: »Ich werde mit ihm sprechen, gar keine Frage. Aber er braucht irgendeine Form professioneller Hilfe. Es muß dir doch klar sein, daß ein Gespräch das Problem nicht lösen kann.«
    Am folgenden Tag hatte er sich mit Ami getroffen. »Du weißt gar nicht, wie das ist. Am schlimmsten sind die, die sich beherrschen, die Leute mit Stil. Sie schreien nicht, sie sagen kein Wort. Ich erinnere mich an eine Nacht, da saß ich mit dem Arzt im Auto. Wir wollten warten, bis es hell wurde, bevor wir unsere Nachricht brachten. Du sitzt da im Auto, betrachtest das Haus und wartest, daß es hell wird, daß es fünf Uhr morgens wird, und du weißt, daß dort in dem Haus Leute ruhig schlafen, und du weißt, daß du da sitzt wie der Todesengel und ihnen bald das Leben zerstörst.« Ami hatte seine großen Hände vors Gesicht geschlagen.
    Machluf Levi riß ihn aus seinen Gedanken. »Und wie kommen Sie dort zurecht?« fragte er.
    »Sehr gut, ohne Probleme«, antwortete Michael und schlug das Lenkrad herum; um einem großen Stein auszuweichen, der mitten auf der Straße lag. »Was soll das heißen? Ist die Intifada bis hierher gekommen?« fragte er, um das Thema zu wechseln.
    »Na ja, wir sind nicht besonders weit von Gasa, da gibt es auch hier manchmal Probleme. Wir haben genug Arbeit, das sage ich Ihnen.«
    »Ich habe einen Sohn beim Militär«, sagte Michael, ohne zu wissen, warum.
    »Ja?« fragte Machluf Levi mit plötzlich erwachtem Interesse. »Wo ist er?«
    »Beim Nachal. Jetzt sind sie in den besetzten Gebieten, in Bethlehem. Es dauert noch lange, bis er entlassen wird, er ist jetzt gerade zwanzig.«
    Machluf Levi seufzte. »Ich habe auch zwei Söhne bei der Armee. Einer ist auf dem Golan stationiert, der andere nicht weit von hier, in Julis. Haben Sie noch mehr Kin der?«
    Michael schüttelte den Kopf. »Nein, nur den einen«, sagte er.
    »Das ist nicht gut, nur ein Kind, ein Einzelkind, das ist schwer. Ich habe fünf. Ein volles Haus.«
    »Alles Söhne?« fragte Michael, als sie an

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