Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
ich zu ihnen gehe, möchte ich Sie noch einiges fragen.«
Mojsch schwieg. Er legte sich die Hand auf die Brust, sein Gesicht verzog sich vor Schmerz, und Michael fragte: »Sind Sie in Ordnung?«
Mojsch nickte. »Das geht gleich vorbei.« Er beugte sich über die braune Tasche, holte wieder die Flasche mit der weißen Flüssigkeit heraus und nahm einen Schluck.
»Was ist das für ein Zeug?« fragte Machluf Levi, als Mojsch die Flasche zurück in die Tasche schob.
Mojsch ignorierte die Frage und wandte sich an Michael. »Was wollen Sie wissen?«
»Alles. Wir müssen sie kennenlernen. Schon um die Möglichkeit eines Selbstmords zu prüfen.«
»Kein Selbstmord. Ich kenne Osnat wie ... wie mich selbst. Das war kein Selbstmord, darüber brauchen wir nicht zu sprechen. Ich weiß alles über sie. Sie hat sich nicht umgebracht.«
»Haben Sie auch von der Affäre gewußt, die sie mit Aharon Meros hatte?« fragte Michael.
Mojsch zögerte, doch dann sagte er: »Sagen wir mal so, ich wußte es nicht, aber es erstaunt mich nicht. Auch ihn kenne ich wie meine eigene Handfläche.«
»Was also war zwischen ihnen?« fragte Michael.
»Sie waren wie Geschwister, sie waren unzertrennlich. Bis ... bis Juwik von der Armee zurückkam, da zog Osnat mit ihm zusammen, und Aharon verließ den Kibbuz. Mei ner Meinung nach deswegen, aber er behauptet, es sei wegen des Studiums gewesen.«
»Sind sie die ganzen Jahre über in Verbindung geblieben?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Mojsch zögernd. »Nein, ich bin sogar sicher. Er wußte noch nicht einmal, was sie arbeitete. Sogar als Juwik fiel, kam er nicht hierher.«
»Wann hat es dann wieder angefangen zwischen ihnen?«
Mojsch zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Er war an Schawu'ot hier, genau damals ist mein Vater gestorben. An einem Herzschlag.«
»Und warum hat sie Ihnen nichts von ihrem Verhältnis erzählt? Sie standen einander doch so nahe.«
Mojsch betrachtete schweigend seine Finger. Dann richtete er sich im Stuhl auf und sagte schließlich: »Wir haben uns sehr nahegestanden, aber was heißt das schon. Über solche Sachen spricht man nicht.«
»Über was für Sachen?«
»Solche eben«, beharrte Mojsch.
»Und über was spricht man denn?«
»Über alles, außer über so etwas. Über ... was weiß ich, über Pläne bei der Arbeit und so, aber nicht über ...«
»Auf diesem Gebiet wissen Sie also nicht viel über sie«, stellte Michael fest.
»Wieso denn?« fuhr Mojsch auf. »Sie glauben wohl, wenn man über solche Dinge nicht spricht, weiß man auch nichts. Ich weiß viel, ohne daß es mir jemand gesagt hat, und ich sage Ihnen, sie ... sie hatte Pläne. Sie hat sich hier etwas aufgebaut, Schritt um Schritt ... Sie hat sich nicht umgebracht, das ist ausgeschlossen.«
»Überlegen wir doch mal, nur für einen Moment«, sagte Michael, Mojschs abwehrende Handbewegung ignorie rend. »Wenn sie sich umgebracht hätte, hätte sie dann einen Brief hinterlassen?«
»Ja, natürlich. Osnat ist ein Mensch mit Verantwortungsgefühl.« Etwas wie ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, als er das sagte. »Aber sie hätte sich nie umgebracht. Sie hat vier Kinder, die schon Halbwaisen sind. Was glauben Sie denn! Und außerdem hatte sie gerade ein Projekt begonnen, von dem sie selbst zu mir gesagt hat, das sei ihr Lebenswerk.«
»Was für ein Projekt?« erkundigte sich Michael interessiert.
»Das ist kompliziert. Es hat was mit der Struktur des Kibbuz zu tun. Die Unterbringung der Kinder bei ihren Familien und solche Sachen«, antwortete Mojsch widerwillig.
»Schlafen die Kinder hier nicht bei ihren Familien?« fragte Machluf Levi verwundert.
Mojsch schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
»Aber der Kibbuz hat doch genug Geld«, sagte Machluf Levi. »Die anderen Kibbuzim in der Gegend haben schon ...« Seine Stimme wurde leiser, nachdenklich.
»Ja, wir sind die letzten«, sagte Mojsch. »Die Änderung war Osnats Baby. Gerade am Abend bevor sie ... bevor sie starb, haben wir die Sache diskutiert. Außerdem«, er warf einen Blick auf Machluf Levi, »hat er nachgeforscht. Er hat ihr ganzes Zimmer auf den Kopf gestellt. Und was hat er gefunden? Nichts. Nur alte Briefe.«
»Was für einen Status hatte sie im Kibbuz?« fragte Michael.
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, sie war Sekretärin für innere Angelegenheiten. Ein guter Status. Alle haben sie gern gehabt.«
»Alle?« fragte Michael.
»Alle«, sagte Mojsch fest. »Natürlich alle.« Er legte die Hand vor
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