Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
Sie darauf bestehen, hier ist die Geschichte. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt, bis ich sie aus ihr herausbekommen habe, und ich habe ihr versprochen, daß ich keinem was davon erzähle.«
»Das haben wir schon früher gehört, hier versprechen alle alles«, sagte Nahari, nahm aus der Tischschublade eine lange, dicke Zigarre und wickelte sie aus dem Zellophanpapier. Dabei ließ er Awigail nicht aus den Augen.
»Ihr jüngster Sohn ist zwölf, und er scheint irgendwie was mit Drogen zu tun zu haben. Die Mutter wollte ihn im Kibbuz unterbringen, weit weg von ihrem Wohnviertel.« Awigail heftete den Blick an irgendeinen Punkt an der Decke und sprach weiter: »Das ist kein Wunder. Wenn man ihre Wohnung sieht, ihren Ehemann, der nichts arbeitet, und wie sie alles sauber und ordentlich hält ... Sie ist eine einfache Frau, aber mit viel Kraft. Ihr ist nicht viel geblieben in ihrem Leben, außer der Ehre.«
Nahari seufzte.
»Das heißt also«, sagte Michael, »daß sie die Krankenstation verlassen hat, um zum Sekretariat zu gehen, nicht wahr?« Awigail nickte. »Und wie lange war sie deiner Meinung nach abwesend?«
»Sie meint, eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten. Sie hat dort ein bißchen gewartet. Das Sekretariat ist am anderen Ende vom Kibbuz, hat sie gesagt. Du mußt es besser wissen als ich, ich war schließlich nicht dort. Und sie sagt, sie sei gerannt, aber sie sieht nicht aus, als könne sie schnell rennen, sie ist kein Kind mehr.«
»Mist«, sagte Beni und strich sich über den kahlen Schädel. »Mist. Eine halbe Stunde ist genug.«
»Hat sie vielleicht das Parathion gefunden?« fragte Michael.
»Nein, ich habe sie danach gefragt«, sagte Awigail überzeugt. »Ich habe sie sogar mehrmals gefragt. Aber etwas anderes hat sie gesagt: Sie hat dort eine Schüssel mit Pflaumenkompott stehen lassen, und als sie zurückkam, war die Schüssel nicht mehr da. Um das herauszubekommen, habe ich eine Ewigkeit mit ihr sprechen müssen.«
»Ein Kompott? Hat es das beim Mittagessen als Nach tisch gegeben?« fragte Nahari und richtete sich im Stuhl auf. »Oder ist es extra ...«
»Ich habe mich erkundigt«, versicherte Awigail. »Sie wußte es nicht genau. Aber im allgemeinen, sagt sie, bekom men die Alten und Kranken spezielles Essen, von dem auch im Speisesaal Leute nehmen, die auf Diät sind oder so.« Lebhaft fügte sie hinzu: »Das spielt jetzt aber keine Rolle, oder hat es im Kibbuz noch andere Fälle von Vergiftung gegeben?«
»Wir wissen jedenfalls nichts«, sagte Michael. »Aber es muß nachgeprüft werden.«
»Davon hättet ihr längst was gehört«, fuhr Awigail auf. »Die Möglichkeit scheint mir jedenfalls abwegig zu sein. Wenn überhaupt, muß das Gift in diesem speziellen Kompott gewesen sein.«
»Was noch?« fragte Michael, und Awigail schaute ihn fragend an. »Was hatte sich noch verändert, als sie zurückkam?«
»Ach so. Die Tür war zu. Das steht aber im Bericht.« »Welche Tür?« wollte Nahari wissen.
»Die Tür zu den beiden miteinander verbundenen Zimmern«, erklärte Awigail. »Ich weiß es nicht genau, weil ich nicht dort war.«
Michael blätterte in der Mappe und murmelte etwas von einem Plan des Kibbuz. Dann nahm er eine Serviette, die vor Nahari lag, und zeichnete einen ungefähren Grundriß der Krankenstation.
»Und Simcha Malul hat mir beim Leben ihrer Kinder geschworen, daß sie die Tür nicht selbst zugemacht hat.«
»Wohin ist also die Schüssel mit dem Kompott verschwunden?« fragte Beni.
Awigail zuckte mit den Schultern. »Simcha hat sie nicht gefunden, aber sie hat auch nicht nach ihr gesucht, sie war mit Osnat beschäftigt, die in dem Moment, als sie zurückkam, anfing zu erbrechen und so weiter ...«
»Und sie hat niemanden aus dem Gebäude herauskom men sehen?« fragte Nahari, und Awigail antwortete: »Also wirklich! Hätte ich so etwas nicht sofort gesagt?«
»Nun, es gibt doch Dinge, die Sie nicht sofort gesagt haben«, bemerkte Nahari und rollte die dicke Zigarre zwischen seinen Fingern.
Sarit ließ ein langgedehntes »Oh« hören, dann fuhr sie fort: »Damals wurde alles sofort geputzt, es gab kein Parathion, es gab kein Kompott, und sie hat niemanden gesehen.«
»Niemanden«, bestätigte Awigail. »Und das ist der Punkt, über den ich mich mit ihr am längsten unterhalten habe. Sie hat niemanden gesehen, außer den Leuten, von denen wir wissen, daß sie dort waren.«
»Toll«, sagte Nahari und warf Michael einen Blick zu, der diesen wiederum darüber
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