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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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eigentlich die Oberhand hätte haben sollen, spürte er jedoch nichts als ein Gefühl der Unwissenheit und Verständnislosigkeit. Als sie vom Fluch des Überflusses sprach, empfand er sich als Teil dieses Phänomens, und dieses Gefühl wurde immer stärker.
    »Mein Zimmer liegt auf dem Weg vom Speisesaal zur Krankenstation, nicht weit vom Kindergarten, vom Kinderhaus«, hatte sie im Sekretariat gesagt, »und ich hatte vor, im Kinderhaus vorbeizuschauen. Der Kleine hatte Schnupfen, und weil Osnat...«
    »Und waren Sie dort?« hatte Michael gefragt.
    »Nein«, hatte sie geantwortet. »Um diese Uhrzeit hielten die Kinder schon Mittagsruhe, und es ist sehr wichtig, die Regeln einzuhalten. Nach meiner Berechnung mußte die Betreuerin die Kinder schon hingelegt haben, und mein Besuch hätte den Tagesablauf gestört. Ich beschloß zu warten.«
    An jenem Abend im Sekretariat hatte er, autoritär und ohne Erklärungen, von der kleinen Gruppe Geheimhaltung verlangt, und schon dort hatte sie mit einem Zusammenpressen der Lippen reagiert. Daran dachte er nun, als sie ihm gegenübersaß, die Augen schloß und öffnete, um ihn anzuschauen. Sie sah nicht aus, als suche sie verzweifelt nach den richtigen Worten, eher wie jemand, der überlegt, ob die ganze Sache eigentlich der Mühe wert sei. Damals im Sekretariat hatte er sie taktvoll nach ihrer Beziehung zu Osnat gefragt, und jetzt, in diesem Moment, hatte er das Echo des Satzes in den Ohren, den sie damals traurig und aufrichtig gesagt hatte: »Wir hatten in der letzten Zeit Streit, einen ernsthaften ideologischen Streit.«
    »Vielleicht fangen Sie mit dem Streit an, den Sie miteinan der hatten?« fragte er nun.
    Dworka seufzte. »Vieles kommt daher, daß Osnat nicht hier geboren ist, daß sie die Vorteile einer Gemeinschaftserziehung nicht genossen hat, daß sie nicht mit den Kleinen im Kinderhaus geschlafen hat. Und weil sie keine starken Grundlagen bekommen hat ...« Dworka schwieg plötzlich, mitten im Satz, und dann brach es, ohne daß er darauf gefaßt gewesen wäre, aus ihr heraus: »Wissen Sie, was ihr Vater war?« Doch sofort zeigte ihr Gesicht tiefes Bedauern über das, was sie gerade gesagt hatte, als seien ihr die Worte gegen ihren Willen entschlüpft. Sie wollte, das merkte Michael, gleich wieder zu den »Grundlagen« zurückkehren, aber natürlich stürzte er sich auf ihre letzten Worte.
    »Wer war ihr Vater? « fragte er und erinnerte sich genau an Mojschs entschiedene Aussage, über ihren Vater sei nichts bekannt.
    »Außer mir und meinem Kameraden«, sie sagte nicht »Ehemann«, registrierte Michael, vermutlich war dieses Wort zu bürgerlich, »wußte das keiner im Kibbuz. Niemand zog irgendwelche Verbindungen, und wir behielten es für uns, als Geheimnis, aber jetzt haben diese Dinge ihre Bedeu tung verloren.« Und atemlos, als verkünde sie eine Katastro phe, stieß sie aus: »Ihr Vater war in der schlechten Zeit ein kleiner Spekulant auf dem Schwarzmarkt.«
    Michael unterdrückte den erstaunten Ausdruck, der fast auf seinem Gesicht erschienen wäre, und sagte auch nicht die Worte, die ihm schon auf der Zunge lagen: Und das ist alles? Doch Dworka spürte seine unausgesprochene Enttäu schung, wußte, daß er nichts verstanden hatte, und sagte verächtlich: »Für Sie ist das eine Kleinigkeit, nun, Sie waren vielleicht noch zu jung.« Sie wartete auf seine Reaktion, wagte aber nicht, direkt nach seinem Alter zu fragen.
    »Die sind wirklich der letzte Abschaum, Spekulanten in schlechten Zeiten, der letzte Dreck, die Leute vom Schwarzmarkt.« Ihr Blick verschleierte sich. »Auch damals war es schwer, ihnen nichts zu verkaufen, unser Kibbuz verkaufte ihnen Eier und Hühner und solche Dinge, und ich war gezwungen, mit Jehuda, meinem Kameraden, der damals Sekretär war, Kontakt mit diesem Mann zu haben, diesem kleinen jämmerlichen Miesling, aber nicht jämmerlich genug, um die Situation nicht auszunutzen. Ein Spekulant. Und er ... egal, aber danach, als Osnat zum ersten Mal in den Kibbuz kam und die Sozialarbeiterin, die sie brachte, mir zuflüsterte, der Vater habe die Familie im Stich gelassen, seinen Namen nannte und ihn beschrieb, wußte ich sofort, um wen es ging. Hierher ist er dann nie gekommen. Er hat die Frau und das Kind gleich verlassen, er hat sich für das Mädchen überhaupt nicht interessiert, und die Mut ter ... die Mutter war auch nicht besser als er.«
    »Wo ist er jetzt?« fragte Michael.
    »Gestorben«, sagte Dworka und schloß die Augen. »Beim

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