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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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wenn man die Person, um die es geht, eigentlich nicht kennt.« Er sagte nichts über seine Schwierigkeiten, die atmosphärische Seite der Angelegenheit zu verstehen. Auch mit seinen Kollegen hatte er nicht darüber gesprochen. Die Spezialeinheit war nicht der Ort für poetische Überlegungen, wie Schorer warnend gesagt hatte. »Deine Philosophie und deine Gedanken über das Leben behältst du dort besser für dich.« Und als er das Gespräch mit Dworka begann, vielleicht sogar schon, als er ihr in die Augen geschaut hatte, erinnerte er sich an die Unterhaltung mit Nahari an jenem Tag, als dieser ihm den Fall übergeben hatte.
    »Wie alt waren Sie, als Sie nach Israel eingewandert sind?« hatte Nahari gefragt.
    »Drei Jahre«, hatte Michael geantwortet.
    »Und Sie hatten nie etwas mit einem Kibbuz zu tun?« hatte Nahari verblüfft gefragt. »Wie ist das möglich? Viele Ihres Alters haben während ihres Armeedienstes einige Zeit in einem Kibbuz verbracht, beim Nachal und so.« Und dann, als Michael ein paar hohle Phrasen vorbrachte, über seine Angst vor einem starren Rahmen und rigiden Strukturen, die die Individualität einschränkten, hatte Nahari sarkastisch gelächelt und eine Bewegung gemacht, die den Raum umfaßte. »Man kann aber nicht sagen, daß Sie sich einen besonders flexiblen Rahmen als Arbeitsplatz ausgesucht haben. Die Strukturen hier sind nicht gerade individualistisch.«
    »Ja«, hatte Michael zugegeben, »aber das betrifft nur die Strukturen, nicht die Arbeit selbst.«
    Nun fragte ihn Dworka forschend: »Was wissen Sie über Kibbuzim? Haben Sie Erfahrung mit dem Leben im Kibbuz?«
    Michael ignorierte die Frage und sagte: »Erzählen Sie mir von Osnat.« Dann steckte er sich eine Zigarette an und wartete.
    Dworka senkte den Kopf und blickte das Wasserglas an. Er betrachtete ihr Gesicht, sah die leichten Zuckungen, bemerkte, wie sich ihre langen, schmalen Lippen zusammenpreßten und wieder lockerten und wie sie ihm schließlich einen Blick zuwarf, bei dem er sich förmlich krümmte. Sie schaute durch ihn hindurch, als wäre er transparent, als existiere er gar nicht.
    Nie im Leben, sollte er später zu Schorer sagen, habe er sich so unbedeutend gefühlt wie in diesem Moment, als er Dworka gegenübersaß, obwohl sie nichts Verächtliches oder Aggressives sagte, was seine heftigen Gefühle gerechtfertigt hätte. Soweit es sie betraf, existierte er einfach nicht. Außer dem Respekt für sie empfand er plötzlich einen gewissen Widerstand. »Schau«, sagte er später zu Schorer, »vielleicht ist das ein ganz normales Gefühl, wenn man einer Mutter gegenübersitzt, die ein Kind verloren hat. Du fühlst dich schuldig, weil dein Leben ganz normal weitergeht, weil du verschont worden bist.« Er klopfte auf den Holztisch zwischen ihnen. »Wenigstens vorläufig.«
    Schorer verzog zweifelnd das Gesicht. »Diese Leute können einem auch ohne das so ein Gefühl geben«, sagte er. »Diese Kibbuznikim, die das Land gegründet und die Sümpfe trockengelegt haben, haben Gott persönlich an den Eiern gepackt. Frag Nahari. Na ja, er hat sicher schon was zu dir gesagt, was dieses Thema angeht.«
    »Welches Thema?«
    »Er hat dir noch nichts erzählt? Er hat dir nicht seine große Erfahrung mit Kibbuzim unter die Nase gerieben?«
    »Doch, schon, ich habe mich gewundert, daß ... Er kennt sich wirklich mit den Verhältnissen dort ganz gut aus«, sagte Michael.
    »Merk dir, er haßt diese Leute auch. Er ist mit der Alijat Noar* in einen Kibbuz gekommen, ich habe gedacht, er würde darüber sprechen ...« sagte Schorer verwundert. »Hast du ihn nicht gefragt?«
    »Nein, ich wollte nicht nachbohren, und ...«
    »Nun«, sagte Schorer, »er will nicht nur dich fertigmachen, auch sie. Er hat eine Rechnung mit ihnen offen, auch ich weiß nicht, um was es da geht.«
    Doch dieses Gespräch sollte erst am Abend stattfinden, nach Michaels Treffen mit dem Parlamentsmitglied Meros. Vorläufig saß Michael noch in seinem Büro, Dworka gegen über, die ihn blicklos anstarrte, wie ein Vogel eine Schlange. Dann schloß sie die Augen, und er wartete geduldig, bis sie sie wieder aufmachte. Sie verschränkte die Finger und sagte: »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen etwas über Osnat erzählen kann.«
    Erst jetzt hörte Michael den Hauch eines russischen Akzents, vor allem an ihrer Aussprache des »l«. Michael schwieg. Er war davon überzeugt, daß jeder Mensch, auch Dworka, ein tiefes Bedürfnis hat zu sprechen. Gespannt hörte er zu, als sie

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