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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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dem Rücken«, hatte Nira über Fela gesagt, ihre Mutter. »Du wirst es schon noch merken.« Das war noch vor ihrer Hochzeit gewesen, als er ihr vorgeschlagen hatte, die Schwangerschaft zu unterbrechen, ohne ihren Eltern etwas davon zu sagen. Sie war auf einmal sehr blaß geworden, und Michael hatte zum ersten Mal gemerkt, welche Angst sie vor ihrer Mutter hatte. »Da ist es schon besser, sie von vornherein zu belügen, damit man den ganzen Prozeß der Wahrheitsaufdeckung mit ihr durchmachen kann. Sie weiß alles, und eigentlich weiß sie gar nichts, aber versuche es mal, sie davon zu überzeugen, oder mich«, hatte Nira in jämmerlichem Ton gesagt. »Wenn sie es schafft, all das Böse in mir aufzudecken, von dem ich noch nicht mal geträumt hatte, dann glaube ich das am Ende selbst.«
    »Osnat besaß eine ungeheure Energie, und nach diesem Vorfall ließ sie nicht mehr zu, daß irgend jemand sie anfaßte. Sie enthielt sich jeder Sexualität. Es handelte sich dabei keineswegs um ein Trauma, denn ihre Beziehung mit Juwik, meinem Sohn, hatte überhaupt nichts Traumati sches. Ein Beweis sind schon die vier Kinder. Nein, sie schien einen Entschluß gefaßt zu haben, ihren Trieb in andere Richtungen zu kanalisieren.«
    Kein Wunder, dachte Michael, wenn du ihr Vorbild warst.
    »Wir waren bei uns im Kibbuz, und überhaupt in der Kibbuzbewegung, keineswegs konservativ, was Sexualität angeht. Schon damals wurde bei uns über dieses Thema frei und offen gesprochen. Es gab Verhütungsmittel, die Kinder wurden umfassend aufgeklärt, und zwischen den Erwachsenen kam es häufig genug zu Liebesaffären. Es gab eine Reihe unverheirateter Mütter, nicht erst jetzt, wo es Mode geworden ist, sondern schon damals, und niemand hat je ein schlechtes Wort über sie verloren. Und trotzdem ... sie ...«
    Wieder schwieg Dworka, und Michael wartete. Noch immer setzte sein Herzschlag einmal aus, wenn sie die Au gen weit aufmachte und ihn direkt, voller Trauer, an schaute.
    »Mit Osnats Kraft mußte man rechnen«, sagte Dworka. »Ich weiß nicht, ob Sie sich überhaupt vorstellen können, zu welcher Durchschlagskraft eine solche Energie, so instinktiv in ihren Quellen, führt, wenn sie in den Dienst von Ideen gestellt wird. Sie war entschlossen, die Seite ihrer Persönlichkeit, die sie von ihren Eltern geerbt hatte, wegzuschieben, hier bei uns Wurzeln zu fassen, Teil des Ganzen zu werden, Einfluß zu gewinnen, sich nützlich zu machen. Das war die Quelle der ideologischen Kampagne, die sie in den letzten Jahren betrieben hat. Sie führte einen harten Kampf«, Dworkas Stimme wurde zu einem Murmeln, sie preßte die Lippen zusammen. Dann fuhr sie fort, als spräche sie mit jemandem außerhalb des Raums: »Was für eine Kraft! Aber es fehlte die konstruktive Vision. Die Grundlagen waren wacklig.«
    Sie fing nun wieder mit Osnats Pubertätsjahren an, sprach über die häusliche Wärme, die Srulke und Mirjam ihr zu geben versuchten, erzählte von den depressiven Stimmungen und den unkontrollierten Ausbrüchen. »Als ihre Mutter starb«, sagte Dworka, »versuchte ich alles, um sie dazu zu überreden, daß sie an der Beerdigung teilnahm, einen Blumenstrauß auf das Grab legte. Nichts, ohne Er folg. Später hat sie ihre Mutter niemals erwähnt, auch nicht den Kindern gegenüber. Und einmal ...« Dworkas Stimme wurde immer leiser, sie schaute Michael verlegen an, fast verwirrt. »Das ist egal«, erklärte sie dann.
    »Was ist egal?«
    »Ich möchte nicht mit den kleinen Geschichten anfangen, die es in jedem Kibbuz gibt.«
    »Ich bitte Sie aber darum«, beharrte Michael.
    Dworka zögerte. »Solche Dinge haben etwas Irreführendes und Schmutziges an sich.«
    »Auch Mord hat etwas Schmutziges an sich«, antwortete Michael, ohne zu wissen, wo er die Worte herhatte.
    »Ich hätte einen Selbstmord nicht so schnell ausgeschlossen«, sagte Dworka.
    »Darüber sprechen wir noch. Sie sagten: › Und ein mal ...‹«
    »Nicht einmal, es war mehrere Male«, gab Dworka zu. »Auch im letzten Jahr.« Mit wenigen Worten und sichtlichem Abscheu erzählte sie von angeblichen Affären, von Eifersuchtsausbrüchen unter den weiblichen Kibbuzmitgliedern. »Eine solche Kraft, wie Osnat sie hatte, weckt auch starke Instinkte«, sagte sie leise. »Und natürlich fühlte sich Boas zu ihr hingezogen. Und es gab noch andere. Aber das ist nicht der Punkt, auf den es ankommt: Wenn man sich nicht in den alltäglichen Details verliert, kann man den Prozeß erkennen, in dessen Verlauf

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