Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
könnte auch umgekehrt sein. Wir haben noch nicht mit genügend Leuten gesprochen. Nicht einmal der offizielle Bericht der Spurensicherung liegt vor.«
»Was meinen Sie mit umgekehrt?« Dalit richtete sich auf. »Was meinen Sie?«
Eli Bachar senkte seine Lider mit den langen Wimpern. »Nichts Konkretes«, sagte er und wischte sich über das Gesicht. »Ich dachte ... Es ist auch denkbar, daß jemand wußte, daß Gabriel hinter die Sache mit dem Bild gekommen ist, hinter den Einbruch und den Mord, und der Täter ist unter Druck geraten ... Im Moment können wir noch nichts dazu sagen.«
»Hat dieser Nachbar seine Frau denn gefunden?« fragte Zila Dalit jenseits des Tisches.
»Ja, in Bogota«, antwortete Dalit und häufte die Krümel in das Butterbrotpapier. »Sie hatte dort eine Schneiderei aufgemacht, Näherinnen eingestellt und so weiter. Sie ist eine elegante Frau geworden.«
An dem zerstreuten Tonfall, in dem Balilati die nächsten Aufgaben verteilte und sie präzisierte, als sei er mit den Gedanken nicht bei der Sache, sah Michael, daß die Sitzung sich ihrem Ende zuneigte. Als es an die Tür klopfte, war klar, daß sie endgültig abgeschlossen war.
»Hier ist eine Frau, Ruth Maschiach, die Sie sucht«, sagte der Polizist in Uniform, der sich gegen die Tür lehnte, zu Michael. »Sie sagt, daß sie und ihr Ehemann herbestellt worden sind.«
Michael sah Balilati an. »Gehen wir zusammen?« fragte Balilati.
»Warum nicht.«
»Zwei sind mehr als einer«, sagte Balilati und erhob sich langsam von seinem Platz am Kopfende. »Hat sie seinen Paß dabei?« fragte er den Polizisten, der seine Lippen zu einem »Keine Ahnung« verzog und hinzufügte: »Draußen wartet die Presse. Fernsehen, Journalisten, alle. Einer ist schon die ganze Nacht hier.«
»Siehst du, was das für ein Ärger ist, wenn der Polizeipräsident sich mit der Rechnungsprüfung herumschlagen muß. Wenn er hier wäre, hätte er längst selbst eine Pressekonferenz gegeben. Sprichst du mit ihnen?« fragte Balilati Michael.
»Kommt nicht in Frage«, sagte Michael erschrocken.
»Was denn, ich vielleicht?« Balilati rang mit sich. »Ich kann Auftritte in der Öffentlichkeit nicht leiden«, klagte er gekünstelt. »Es ist besser, wenn niemand meine Visage kennt«, murmelte er. Seine Augen wanderten über die Gesichter der Anwesenden und blieben auf Dalit haften. Er dachte nach und kniff nachdenklich die Lippen zusammen.
»Wir brauchen jemanden mit viel Erfahrung«, warnte Michael, der Balilatis Blick gefolgt war. »Bachar, wirst du dich um die Presse kümmern?« fragte Balilati.
»Das ist nicht üblich«, protestierte Eli Bachar, »das ist die Aufgabe des Leiters der Mordkommission ...«
»Wer bestimmt hier, was üblich ist und was nicht?« sagte Balilati verärgert. »Wir treffen hier die Entscheidungen. Bist du einverstanden, oder nicht?«
Eli schwieg und stand auf. »Sie sollen draußen warten, vor dem Gebäude!« unterrichtete er den uniformierten Polizisten.
Aber sie warteten nicht draußen. Kameras klickten, als die Tür aufging, und ein grelles Licht blendete Michael, der den Kopf abwandte, sich einen Weg durch die Menge bahnte und die Hand auf die brennende Stelle unter seiner Brust legte, denn von Moment zu Moment wurde ihm klarer, daß alles, auch die Geschichte mit dem Baby, bekannt werden würde. Balilati lief mit ernstem Gesicht hinter ihm in sein Büro, beide waren taub für die Fragen, die schonungslos in die Luft gebrüllt wurden. Sie ignorierten auch den Ausruf: »Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf« und den Schrei: »Es geht um einen international berühmten Dirigenten« auf ihrem kurzen Gang durch den Flur bis zu dem Büro, wo Isi Maschiach auf seine Ex-Frau wartete, die seinen Paß bringen sollte.
Sie hat einen Wohnungsschlüssel, hatte Isi am Ende des Verhörs gegen vier Uhr morgens gesagt. Der Art, wie er mit ihr telefonierte – mit gesenktem Kopf murmelte er die Worte in die Muschel, mit dem Rücken zu Michael, als wäre er allein im Raum –, entnahm Michael, daß die Beziehung zwischen beiden gegenseitige Unterstützung und Fürsorge einschloß. »Wir sind gute Freunde«, hatte Isi Maschiach erklärt, als er darauf beharrte, sie um fünf Uhr morgens anzurufen, auch wenn er sie weckte, damit sie nicht aus der Zeitung oder aus den Sechsuhrnachrichten, die sie zwanghaft anzuhören pflegte, von Gabriels Tod erfuhr.
Michael hatte ihm mitten im Gespräch ein Zeichen gemacht, und Isi hatte den Kopf gehoben und
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