Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
erinnerte sich an alles und jedes und ließ nicht locker, bis die Sache mit den Handschuhen geklärt war. Ihr helles, schmales Gesicht war ausdruckslos, als Awram die Erkenntnisse über die Handschuhe vortrug. Ihre hellen Augen waren gesenkt. Unter den vorstehenden Wangenknochen schienen die Wangen von innen angesaugt zu werden. Dies ließ sie asketisch aussehen – beinahe wie eine Nonne. Doch dieser Eindruck verflüchtigte sich rasch oder wurde zumindest fragwürdig, wenn man den Mund berücksichtigte, wenn man die vollen, hübschen, wohlgeformten Lippen betrachtete, die ihrem Gesicht etwas überraschend Sinnliches verliehen. Das spitze Kinn jedoch gab ihr gleichzeitig einen Hauch von Kälte oder sogar Brutalität. Michael schüttelte sich, rief sich zur Ordnung und ging dazu über, Awram zuzuhören. Dalit riß die Augen weit auf und nahm die Hand vom Kinn.
»Erzähl ihnen von dem Aufbewahrungsort«, sagte Dalit zu Awram wie eine liebende Gattin, die ihrem Ehemann, der bei einer Party einen Witz zum besten gibt, etwas Wichtiges in Erinnerung ruft. »Erzähl ihnen von ihrem Fach«, erinnerte sie ihn, als er bei seinem dritten Satz ankam.
»Ich komme gleich dazu«, sagte Awram und errötete. Wie immer, wenn er rot anlief, leuchteten in seinem Gesicht winzige bläuliche Adern auf, eine pochte an seiner Schläfe, und er begann, wie es seine Art war, wenn er verlegen war, zu stottern. In diesem Moment warf Zila Dalit einen schar fen, kurzen, feindseligen Blick zu, als ob sie auch dieses Bild bei ihrer Abrechnung mit Dalit zu Buche schlagen lassen wollte.
»Aber es ist ziemlich klar, daß Margot Fischer nichts damit zu tun hat«, sagte Awram, und die Röte in seinem Gesicht flaute ab. »Ich habe ja schon gesagt, daß alle von den Handschuhen wußten. Jemand muß sie an sich genommen haben.« Zu Beginn der Sitzung war lange über die Kontrabassistin gesprochen worden, die kurzatmig zum Präsidium gekommen war. Sie hatte bestätigt, daß die Handschuhe ihr Eigentum waren, und wollte wissen, wie die Handschuhe zur Polizei gelangt waren. Dabei hatte sie etwas von einer chronischen Erkrankung geredet. »Die Krankheit heißt Raynaud-Syndrom«, sagte Awram. »Sie hat immer kalte Hände.« Sie hatte von den Witzen erzählt, die ein Teil des Orchesterlebens geworden waren, über die Handschuhe, die aus Hirschleder waren und die sie von einer Kollegin aus einem deutschen Rundfunkorchester bekommen hatte, die auch Kontrabaß spielte und ebenfalls an Durchblutungsstörungen litt. Margot Fischer war eine kleine Frau, und Michael erinnerte sich daran, wie sie hinter dem Instru ment verschwand, auch wenn ihre Arme besonders lang waren.
Awram sprach von ihren Händen, die gemessen an ihrem Körper groß waren. »Aber nicht wie die Hände eines Mannes«, sagte er und bemerkte, daß die Handschuhe ihr zu groß waren und auch einer größeren Hand gepaßt hätten. »Sie hat die Handschuhe in ihrem Fach aufbewahrt, jeder wußte davon.« Dann sprach er von dem Standort der pri vaten Schließfächer neben den Büros der Direktorin. »Nein«, antwortete er auf eine Frage von Eli, »jeder hatte nur einen Schlüssel zu seinem Fach, aber es gab einen Zentralschlüssel. Sie hatte keine Ahnung, wie die Handschuhe aus dem Fach gelangt waren. Aber als wir bohrten, gestand sie, daß sie vorgestern vielleicht nicht zugesperrt hatte, weil sie etwas zerstreut war«, fügte er hinzu.
An der Art, wie er sich über die Listen beugte, kam eine gewisse Zuneigung oder ein Vertrauen zu Margot Fischer und der Geschichte, die sie über den gestrigen Tag erzählte, zum Ausdruck. An dem Mordtag, schilderte er, das heißt am Vortag, hatte sie die Handschuhe nicht benutzt. Sie war zu spät gekommen und hatte keine Zeit, sich an den Fä chern aufzuhalten, ohne sich für die Probe zu verspäten. Theo van Gelden kannte keine Gnade bei Verspätungen, er hatte immer beleidigende Worte für jemanden parat, der zu spät kam. Darum war sie ohne Handschuhe auf die Bühne gegangen und hatte mit ihren versteiften Fingern gekämpft. (»Ich weiß nicht genau, was versteifte Finger sind«, entschuldigte sich Awram und rutschte verlegen auf seinem Stuhl hin und her. »Aber sie zeigte mir die eingeschränkte Beweglichkeit ihrer Finger.«) Später hat sie die Handschuhe nicht mehr gebraucht, die Finger waren schon warm. »Es gibt Tage, an denen es ihr nicht gutgeht,« sagte er teilnahmsvoll, »dann zieht sie sie erst aus, wenn sie mit dem Spiel beginnt.«
»In den Handschuhen
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