Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
eine Physionomie zu rekonstruieren«, dachte er laut, »zum Beispiel die Gesichtszüge eines Vergewaltigers«, erklärte er Ruth Maschiach. »Ein Vergewaltigungsopfer ist imstande, das Gesicht des Täters zu verdrängen. Nicht einmal in diesen Fällen kommt Wahrheitsserum in Frage. Auch wenn es heißt, daß der Schabak* es einsetzt. Aber dazu möchte ich mich nicht äußern.«
»Das Problem ist«, sagte Michael, »daß wir keine Zeit haben. Ich muß noch heute die Bestätigung haben. Noch heute muß ich wissen, ob wir es mit einer Verdächtigen oder mit einer Zeugin zu tun haben ...«
»Warum noch heute? Was ist daran so dringend?« wollte Elro'i wissen.
Michael rang mit sich. Er wußte nicht, wie er ihm mit wenigen Worten die Bedeutung seines Treffens mit Schorer am Abend klarmachen sollte, und darum sagte er nur: »Ich habe Imanuel Schorer versprochen, es bis heute abend herauszufinden.«
»Weiß Schorer, daß du mit mir über Hypnose sprichst?« fragte Elro'i erstaunt. »Ist er damit einverstanden?!«
»Er weiß nichts davon«, beruhigte ihn Michael. »Wir ha ben nichts darüber vereinbart, aber die Ergebnisse müs sen ...«
»Was ist mit seiner Tochter? Hat sie ihr Kind? Sie sollte das Kind doch längst haben«, fiel Elro'i ein, aber er erwar tete keine Antwort. »Es ist besser, wenn ich nicht ins De tail gehe«, sagte er schnell. »Ich habe das deutliche Ge fühl, daß ich gar nicht wissen will, was ich nicht unbedingt wissen muß. Ich habe bei dieser Geschichte kein gutes Gefühl«, sagte er und drehte Ruth Maschiach sein Gesicht zu. »Aber wenn du ihr helfen willst, dann kann ich dir ein paar Namen nennen. Und vergiß nicht, daß ich von nichts weiß.«
Ruth Maschiach schüttelte den Kopf; sie habe kein Pro blem, jemanden zu finden, sie kenne seriöse Leute in diesem Bereich, sagte sie und erwähnte zum ersten Mal den Namen Dr. Schumers.
»Ich habe auch an ihn gedacht«, gestand Elro'i unwillig. »Für die Hypnose. Aber ich bin mir nicht sicher ...«
»Aber er wird es uns sagen können, und wir können uns auf sein Verantwortungsgefühl und seine Ethik hundertprozentig verlassen, und auch auf seine Erfahrung«, erinnerte Ruth Maschiach und richtete ihren kleinen krausen Kopf auf. »Er war es doch auch, den man damals konsul tiert hat, als es darum ging, diesen Mann aus dem Koma zu wecken ... Weißt du noch? Nach einer Woche hat man ihn hinzugezogen ...«
Elro'i nickte hastig, als bitte er darum, überflüssige Einzelheiten zu vermeiden. Als wolle sie um jeden Preis ihren Satz zu Ende führen, bevor er sie unterbrach, fügte sie eilig hinzu: »... und er war wesentlich an der Formulierung des Hypnosegesetzes beteiligt. Er war es, der durchgesetzt hat, daß Hypnose zu Unterhaltungszwecken verboten wurde.«
»Das ist richtig«, sagte Elro'i versöhnlich und sah Michael an. »Aber du wirst später bei deinen Ermittlungen auf dieses Material zurückgreifen wollen ...«
»Ich habe keine Ahnung, was ich damit machen werde. Es hängt davon ab, was dabei herauskommt«, sagte Michael.
»Voraussetzung ist der Verzicht auf ein vertrauliches Behandeln der medizinischen Daten«, warnte Elro'i. »Nur wenn das Gericht den Therapeuten, der die Hypnose durchführt, offiziell heranzieht, nur dann kannst du die Ergebnisse benutzen.«
»Gut, mal sehen«, sagte Michael ungeduldig. »Zuerst werden wir mit diesem Schumer reden.«
»Auch mit Frau van Gelden selbst«, rief Elro'i in Erinnerung.
»Natürlich«, beeilte sich Ruth Maschiach zu sagen. »Ohne ihr Einverständnis ist es unmöglich.«
Später, als er sah, wie Ruth Maschiach die Schlafzim mertür in Nitas Wohnung hinter sich schloß, wurde Mi chael von einer diffusen Angst ergriffen. Er befürchtete, Nita könnte zusammenbrechen. Er fürchtete sich vor dem, was Ruth Maschiach aufdecken würde, und davor, daß man ihr sogar ihr eigenes Kind wegnehmen könnte. Erst als sie aus dem Zimmer kam, die Tür zumachte und ihm ermutigend zunickte, beruhigte er sich ein wenig. Aber während Ruth Maschiach mit dem Arzt verhandelte, meinte er die Stimme Schorers zu hören, leise und voller Aversion, die immer wieder fragte: Wie konntest du jedes erdenkliche Gesetz übertreten und es nicht mal bei der Sitzung vorbringen! Nicht nur, daß du eine Beziehung zu Nita unterhältst, tadelte ihn seine innere Stimme, auch über Ruth Maschiach weißt du nichts. Sie zählt zum Kreis der Verdächtigen. Diese Worte rief er sich eine Stunde später wieder in Erinnerung, als er Nita sein
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