Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Gesicht zuwandte, die neben der Balkontür stand und ihren Sohn anstarrte, der sich, in seiner Babysprache plappernd, sehr bemühte, sich in der Mitte des Zimmers auf Arme und Beine zu stellen. Er wippte hin und her, krabbelte plötzlich vorwärts und fiel jedoch sofort wieder auf den Bauch.
»Nita!« rief Michael. »Hast du das gesehen? Er krabbelt!«
Sie kehrte ihr Gesicht dem Fenster zu und nickte. »Ich habe es gesehen, wunderbar«, sagte sie gleichgültig, erschauderte und sah erneut auf Ido. Sie murmelte leise, wie sie es seit einer Stunde immer wieder tat: »Waswirdnunwaswirdnun.«
Aus der Küche war das Geräusch fließenden Wassers zu hören. Als er zur Küche schaute, sah er die dunklen, schlanken Arme über dem Spülbecken. Er nahm die Kleine auf, die sich in seinen Armen vor Bauchschmerzen krümmte. Er legte ihren Bauch auf seine Schulter, spürte, wie sie krampfte, klopfte auf ihren Po und schnupperte an ihrem Hals. Aber er war nicht ganz bei der Sache. Ruth Maschiach legte den Hörer auf. »Um Viertel nach eins«, sagte sie erleichtert. »Er hat die Dringlichkeit eingesehen. Bringen Sie sie hin?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr sie fort: »Ich werde Sie dort treffen. Ich habe die Adresse notiert.« Dann ging sie.
»Wo ist Dalit?« fragte Michael Sarah, die angestrengt lächelte, wenn er das Wort an sie richtete.
»Sie ist mit dem Herrn weggegangen«, sagte sie.
»Wo ist dein Bruder?« wandte er sich an Nita, die ihm langsam den Kopf zudrehte, den Mund verzog und mit großer Mühe, als habe sie die Stimme verloren, sagte: »Es paßt wohl nicht, wenn ich antworte ›Soll ich meines Bruders Hüter sein‹. Oder paßt es doch?«
»Mit welchem Herrn ist sie weggegangen? Mit Theo?« fragte er Sarah, die ergeben nickte. »Wo sind sie hingegangen?« fragte er Nita, die ihre Arme kraftlos ausstreckte und beinahe schmerzhaft gegen ihren Körper warf. »Ich habe nichts mitbekommen. Ich weiß von nichts«, murmelte sie. Er drückte das Baby an seine Schulter. Für einen Moment überkam ihn mit Wucht die Erkenntnis, wie absurd diese Situation war, dieses Zusammensein mit den beiden Babys, als wäre die Welt in Ordnung. Er dachte an Ruth Maschiachs Worte. Sie hatte zwar von dem Moment an, in dem er ihr von Nitas Lage erzählt hatte, die Sache mit dem Baby nicht mehr erwähnt, ihre Warnung hatte er jedoch nicht vergessen: »Reden Sie nicht von meinem Baby. Es ist nicht Ihr Baby.« Er stand jetzt neben Nita, beugte sich zu ihr und berührte ihre Schulter. »Hast du gehört, wohin sie gegangen sind?«
»Herzl suchen«, sagte sie schläfrig. »Sie haben mich hier mit Sarah zurückgelassen.«
»Weiß Balilati, daß sie Herzl suchen?« Sie gab keine An twort.
In der Zeit, die bis zu dem Termin mit dem Psychiater blieb, versuchte er Schorer im Krankenhaus zu erreichen. »Wer spricht?« fragte die Krankenschwester auf der Sta tion. »Sind Sie ein Angehöriger?« Er sagte nichts und legte auf.
»Ich habe noch nichts gehört«, sagte Schorers Sekretärin, die beim ersten Klingeln abhob, als hätte ihre Hand erwartungsvoll auf dem Hörer gelegen. »Seit heute morgen habe ich nichts mehr gehört. Ich sitze die ganze Zeit am Telefon. Machen Sie die Leitung frei, und hinterlassen Sie eine Num mer, unter der man Sie erreichen kann.« Er beobachtete den feuchten Fleck, den seine Hand auf dem Hörer verursacht hatte. Plötzlich überkam ihn wegen Dalit und ihrer Eigenmächtigkeit ein undeutliches, ungutes Gefühl, beinahe eine Sorge. Er wählte erneut, diesmal auf der Suche nach Bali lati. Er hatte die Absicht, gegen dieses Weggehen der beiden zu protestieren, aber niemand wußte, wo Balilati zu erreichen war. Eli Bachar antwortete abweisend, beinahe feindlich, auf jede Frage. Seine Stimme änderte sich erst, als er fragte: »Hast du Schorer erreicht?« Nun war es an Michael, ausweichend zu antworten. »Routine«, sagte Eli Bachar, »die Orchestermitglieder treffen nacheinander ein. Balilati ist unterwegs zum gerichtsmedizinischen Institut. Danach will er sich um das Bild kümmern. Erst morgen wissen wir mehr. Nur Zila und ich«, antwortete er auf die Frage, wer die Musiker verhörte.
Nita saß in dem tiefen Sessel vor dem pendelnden Anhän ger, ihre Augen gingen auf und zu. Ihr Körper war entspannt und ruhig. Die Furchen zu beiden Seiten ihres Mundes waren weniger deutlich, und der leidvolle Ausdruck wurde schwächer. Der Arzt hatte Michael mehrmals darauf aufmerksam gemacht, sich nicht zu bewegen und keinen
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