Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Sie, worauf ich hinauswill?
Theo schwieg.
»Sie sind nicht bereit, sich an den Lügendetektor anschließen zu lassen«, erwähnte Balilati.
»Weigern Sie sich auch, mit Herzl zu reden?«
»Ich habe nie gesagt, daß ich nicht bereit bin, mich an den Lügendetektor anschließen zu lassen!« protestierte Theo. »Ich habe lediglich gesagt, daß es in den nächsten Tagen nicht geht. Ich stehe noch unter dem Schock der Ereignisse. Und morgen muß ich fit sein.«
»Warum müssen Sie morgen fit sein?« fragte Michael interessiert.
»Ich habe eine Veranstaltung in Beth Daniel. Sie ist vor mehr als einem Jahr vereinbart worden, und ich kann sie auf keinen Fall absagen. Johann Schenk kommt eigens für einen Tag, es ist der einzige Tag ...«
»Es sind weniger als achtundvierzig Stunden vergangen, seit Ihr Bruder umgebracht wurde«, staunte Balilati.
»Glauben Sie, ich könnte das vergessen?!« Theo zog die Lippen in der Art zusammen, in der auch Nita es zu tun pflegte. Nur daß seine Wangen, die weniger hohl waren als ihre, seinem Mund einen brutalen, verwöhnten Ausdruck verliehen und nicht den kindlichen, gequälten, den er von Nita kannte. »In meinem Beruf stehen diese Ereignisse an vorderster Stelle. Sie wissen es vielleicht nicht, aber ich bin auf meinem Gebiet nicht irgend jemand. Ihnen mag es nicht viel sagen.« Man konnte den verächtlichen Unterton in seinen Worten nicht überhören, der auch einen Anflug von Beleidigung enthielt.
Balilati ließ sich nicht beirren; sein Gesicht hatte etwas bei nahe Barmherziges. Seine kleinen Augen versanken in den Speckfalten des breiten Gesichts, das vor Schweiß glänzte. Er widmete sich gewissenhaft der Untersuchung eines winzigen Flecks auf seinem Streifenhemd.
Nachdem Theo ihm Zeit gelassen hatte zu reagieren, aber einsah, daß er es nicht tun würde, fuhr er fort und sagte: »Denken Sie nicht, daß Gabi sich anders verhalten hätte. Eine solche Veranstaltung läßt sich nicht absagen oder verschieben. Es gibt auch keinen Grund dazu«, sagte er verächtlich und glitt mit der Hand durch seine Haare. »Offene Trauer, all diese Verhaltensmuster sind nichts als narzißtische, nicht ernst zu nehmende Handlungen. Weil jemand starb, selbst wenn er mir nahestand, und selbst wenn er mein Bruder war, muß ich nicht meine Pflichten ruhen lassen. Soll ich Urlaub machen, weil Gabi tot ist?« Er betonte das dritte Wort.
Balilati seufzte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Es wäre verrückt, solch einen Tag mit Johann Schenk abzusagen«, flüsterte Theo. »Es ist ein internationales Ereignis. Das französische Fernsehen wird dafür anreisen. Ich halte dort vor jungen, talentierten Musikern einen wichti gen Vortrag über die Epoche der Klassik, der für das Telekolleg aufgenommen wird. Der Terminkalender Johann Schenks ist ausgebucht. Wissen Sie überhaupt, wer er ist?« Sein Gesicht neigte sich demonstrativ in Richtung Michael, dessen Miene verschlossen blieb. »Warum sollten Sie von ihm gehört haben?« murmelte Theo verbittert. »Er ist nicht irgendein Sportler oder ein Popstar.«
»Sie scheinen auf jeden Fall auf ihn zu stehen«, sagte Balilati beinahe väterlich.
»Nicht nur, ich schätze ihn sehr! « ereiferte sich Theo. »Es gibt hier junge Menschen, Künstler, die seit einem Jahr auf diesen Tag warten, wenn nicht schon länger. Aus der ganzen Welt kommen die besten Musiker hierher, bei uns gibt es Nachwuchstalente. Johann Schenk ist jedenfalls einer der größten Baritone der Welt. Wenn nicht sogar der größte. Auch Nita wird dort sein. Sie hat einen Workshop, in dem es um Liedbegleitung geht.«
Balilati blinzelte.
»Die Liedbegleitung ist eine Besonderheit. Wir werden an der › Winterreise ‹ arbeiten, einem Liederzyklus von Schubert mit Klavierbegleitung.« Wieder warf er Michael einen Blick zu, als erwarte er das Nicken des Kenners. Wieder blieb Michaels Gesicht regungslos. In diesem Moment etwas von seiner Beziehung zu Schuberts Liederzyklus preiszugeben, zu nicken oder etwas zu sagen, hieße, sich mit Theo gegen Balilati zu verbünden. »Und diesem Workshop widmen wir einen halben Tag. Die zweite Tageshälfte ist dem Unterweisen der Sänger in Mozartarien zugedacht. Ich halte dann auch noch diesen Vortrag über die Klassik, der vor einem halben Jahr oder schon länger vereinbart wurde, und ich werde auch nach neuen Sängern für eine Opernaufführung suchen. Es ist ein umfassendes Projekt!«
»Warum, ist dieser Schenk denn kein Mensch aus Fleisch und
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