Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
fragte Theo nach einigen Schweigesekunden.
»Er erledigte etwas in einer anderen Angelegenheit«, log Michael gelassen.
»Wozu diese Sache mit Dora Sackheim? Wieso müssen Sie sie sprechen?«
»Ich habe es Ihnen schon gesagt. Ihr Bruder hatte vor ein paar Wochen Kontakt mit ihr. Wir versuchen, ihn kennenzulernen.«
»Sie versuchen, ihn kennenzulernen ?! Gabi? Wozu müssen Sie ihn kennenlernen?!«
»Es ist unsere Methode, nach einem Mord alles über das Opfer und sein Umfeld herauszufinden.«
»Glauben Sie wirklich, daß man in so kurzer Zeit jemanden kennenlernen kann?«
»Das ist die Frage. Die Frage ist, ob das überhaupt jemals gelingt«, sagte Michael mit einem philosophischen Ton, als wäre ihm das Abgeschmackte an seiner Frage nicht bewußt. »Aber wir dürfen nichts unversucht lassen.«
»So weit greifen Sie zurück, bis auf Dora Sackheim?!« murmelte Theo. »So viele Jahre. Sie müssen wissen, daß sie mich nicht mag«, warnte er.
»Das bedrückt Sie«, sagte Michael mit erzwungener Sympathie.
»Ja«, gestand Theo, ohne zu blinzeln, »aber Gabi hat sie immer geliebt, auch das wird sie Ihnen sagen.«
»Warum eigentlich?«
»Sie hielt ihn für ... für ernsthafter, glaube ich, als ob er mehr Talent hatte.«
»War er wirklich talentierter?« fragte Michael. »Auch in Ihren Augen?«
Theo schien von der Frage getroffen zu sein. Er schluckte und holte tief Luft. »Ist das eine ernste Frage?« flüsterte er, und Michael nickte.
»Werden Sie mir glauben, wenn ich ehrlich antworte?«
Wieder ein Nicken.
»Ich denke, nein«, sagte Theo. »Nicht nur, weil ich, sagen wir, berühmter bin, wenn Sie mir verzeihen, es ist einfach eine Tatsache, die nichts aussagt, außer daß ich erfolgreicher bin, denn ich bin anscheinend ambitionierter.«
»Ambitionierter als wer?«
»Ambitionierter als alle, als Nita, als Gabi«, sagte Theo wie selbstverständlich. »Gabi war ein großer Geiger, ohne Zweifel. Aber die Wahrheit ist, das hätte er Ihnen selbst bestätigt, und es geht nicht um Höflichkeitsfloskeln, wenn man diese Fragen ernsthaft diskutiert, daß ich nicht so unseriös bin, wie Dora Sackheim denken mag. Selbst sie denkt es vermutlich nicht wirklich. Gabi ist ... war ... sehr talentiert. Ein großer Künstler, in seinem Bereich. Er hätte sich nie an Wagner heranwagen können. Und er wollte es auch nicht. Nicht einmal die Ouvertüre zu »Tannhäuser« hätte er bewältigt. Schon bei den ersten Takten wäre er ausgerastet. Nicht, daß er die Größe Wagners nicht verstand, seine Neuerungen und Leistungen in der Geschichte der Musik. Wissen Sie, daß Wagner revolutionär war? Verstehen Sie et was von diesen Dingen?« fragte er fast abwertend. »Sie lieben Brahms, und darum denken Sie, daß Brahms ein großer Erneuerer war. Aber das trifft ganz und gar nicht zu. Es spielt nun keine Rolle mehr, aber er haßte ihn, Gabi haßte Wagner. Auch Mahler war er nicht gewachsen. Bartok ja, er spielte wunderbar Bartok. Dirigiert hat er ihn wie durch einen Zufall nie. Aber er spielte ihn. Und wenn man mich fragt, dieser ganze Wahn mit der alten Musik hat seine Libido gelähmt.«
» Was soll das heißen?« fragte Michael interessiert.
»Es heißt, daß er mit seiner Pedanterie, mit seinem Fanatismus für die alte Musik alle Vitalität und Leidenschaftlichkeit eingebüßt hat, die auch in der Barockmusik enthalten sein können. Und Bach, wenn Sie mich fragen, hat er in den Kantaten und der h-Moll-Messe erstickt! Als Dirigent, meine ich. Ein Chor von sechs Sängern und solch eine flache Akzentuierung für eine Musik, die markerschütternd sein soll!«
»Können Sie mir erklären, was es mit dieser historischen Musik auf sich hat?« bemerkte Michael.
»Das soll Dora Sackheim übernehmen. Sie treffen sich ja mit ihr. Sie kann es Ihnen erklären!« sagte Theo verbittert.
»Wenn Sie wirklich der Meinung sind, daß er kein größerer Musiker war, als Sie es sind, warum quält dann die Sache mit Dora Sackheim Sie so sehr?« Zu seiner Zufriedenheit hörte Michael, wie seine Stimme väterlich und sanft klang. Etwas Kindliches lag plötzlich in Theos Zügen, in seiner schmollenden Unterlippe.
Theo zuckte die Schultern. »Schnee von gestern«, sagte er abtuend. »Spielen Sie jetzt den Psychologen?«
Michael lächelte. Theo sah auf seine Uhr.
»Wieviel Unterhaltsgeld zahlen Sie monatlich?« fragte Michael.
Theo war verblüfft und konzentrierte sich für einen Moment. »Ich weiß es nicht genau. Ich habe es notiert. Warum fragen
Weitere Kostenlose Bücher