Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
sich vor dem Treffen neue Seelen kräfte von der Kleinen erhoffte. Heute würde er es nicht ein mal schaffen, sie zu baden. Und Nita, die unbewußt etwas wußte und die jeden Moment jemand ...«
Plötzlich füllte sich der Raum mit Geräuschen. Die Bewegung eines Türgriffs, das laute Schließen einer Tür, schwerfällige Schritte, das Rücken eines Stuhls, dumpfes Gemurmel einer unbekannten Stimme. Hinten im Auto knarrte der Sitz, auf dem der Techniker sich bewegte.
»Hast du ihn mal gesehen?« flüsterte Balilati, als könne man sie auf der anderen Seite der Leitung hören. Michael schüttelte den Kopf. Er hatte Herzl nur auf einem Photo bei einer von Theos Hochzeitsfeiern gesehen. Nita war eingefallen, daß ihr Vater Herzl gezwungen hatte, sich zwischen die anderen zu quetschen, weil er »zur Familie gehört«. Sie hatte ohne Verbitterung einen fremden Akzent nachgeäfft, der der Akzent ihres Vaters sein mußte. »Eine schöne Familie«, hatte sie am Abend nach dem Tod ihres Vaters gesagt, »kein Mensch weiß, wo er steckt.«
»Nur auf einem alten Photo«, hörte er sich Balilati zuflüstern und übertönte das Rücken der Stühle in dem Raum, den er sich nicht einmal vorstellen konnte.
Als könnte er seine Gedanken lesen, sagte Balilati: »Es ist das Büro des Verwaltungsdirektors der Klinik. Mit ihm habe ich gesprochen, denn die Ärzte sind mit dem Kurieren der Seelen beschäftigt und haben keine Energie für das richtige Leben. Er schuldet mir einen Gefallen, der Verwaltungsdirektor ...«
Michael legte einen Finger auf seine Lippen, aber Balilati war ohnehin verstummt, denn auch er hatte Theos Stimme gehört, die nach dem bekannten Räuspern sagte: »Ich habe dir Trauben mitgebracht, keine Muskattrauben. Die gibt es nicht mehr. Blaue Trauben. Und einen von den Käsekuchen, die du magst, Herzl.« Theos Stimme, bemerkte Michael sofort, war devot. Es lag ein Gefühl darin, das Michael bei Theo noch nicht bemerkt hatte und das er auch nicht einordnen konnte. Der Klang der Stimme war schriller, höher, als rühre er von überspannten Saiten her.
»Siehst du, wie wichtig es ist, vor Ort zuzuhören. Ich habe es von dir«, flüsterte Balilati.
»Ich sage ja gar nichts mehr«, antwortete Michael in sei ner normalen Stimme. »Ich habe dir nur klarmachen wol len, daß ich bei diesen Dingen in der letzten Zeit ein komisches Gefühl habe. Vielleicht weil ich zwei Jahre lang draußen war. Es liegt auf der Hand, daß wir hier anwesend sein müssen.« Er wunderte sich selbst über das »auf der Hand liegen«, denn für den Augenblick lag ganz und gar nichts auf der Hand. Dafür lagen Gefahr und Hektik in der Luft, vielleicht bedingt durch die Tatsache, daß es sich bei Herzl um einen psychisch Kranken handelte. Das weiche, rosige Gesicht des Babys wich plötzlich Juwals Gesicht. Auf einmal sah er seinen verlorenen, verzweifelten Gesichtsausdruck vor sich, später kam das Bild von Nitas hohlen Wangen hinzu. Das Entsetzen in ihren Augen. Die Klänge der Cellosuite von Bach, die sie in den späten Nachmittagsstunden immer wieder spielte, als suchte sie nach Heilung, während Ido dalag und an seiner Faust lutschte, als lausche er.
»Warum ißt du die Trauben nicht?« Theos flehende Stimme füllte den Wagen.
Jetzt identifizierte Michael die unbekannte Melodie, die in ihr lag. Sie enthielt Angst. Angst und ein gehetztes Beschwichtigen. Rascheln von Plastiktüten, wieder ein Stuhlrücken. »Gut, heb sie dir für später auf«, sagte Theo besänftigend. »Wie geht es dir, Herzl? Fühlst du dich besser?«
Stille. Von außen drangen das Heulen einer Alarmanlage aus einem entfernten Auto und die Echos dröhnender Motoren in den Lieferwagen.
»Ich muß dir etwas gestehen«, sagte Theo in einer anderen Stimme, einer beherrschten, nach einem Schweigen von mehreren Sekunden. »Ich bin gekommen, um dir von Gabi zu erzählen. Gabi ist tot.«
Kein Laut.
»Hast du mich gehört, Herzl?« Wieder klang er fast kehlig, »sie haben ihn umgebracht, vorgestern nach der Probe.«
»In seinem Haus?« war plötzlich die zweite Stimme zu hören, schwer, dumpf, heiser, als ob die Worte nur äußerst beschwerlich heraus wollten, nach enormer Bemühung, so als stünde der Sprecher unter Medikamenten.«
»Nein, im Konzertzentrum.«
»Wurde er erschossen?« interessierte sich die andere Stimme.
»Nein«, sagte Theo und schwieg für einen Moment. »Vielleicht ... mit einem Messer.«
»Ach so, hat man ihm ins Herz gestochen?« sagte die Stimme
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