Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
sagte er mit entschlossenem, drohendem Ton. »Sie waren von deinem Vater, und sie gehören Gabriel. Das hat er gesagt. Jetzt will ich sie. Gabriel ist tot.«
Vom Fahrersitz, die Hand auf dem Schaltknüppel, drehte Balilati seinen Oberkörper zu Michael, und auf seinem Gesicht lag ein fragender Ausdruck. Michael schüttelte achselzuckend und verständnislos den Kopf.
»Sie wollen wissen, ob du Vater an dem Tag, an dem er starb, gesehen hast«, sagte Theo.
Schweigen.
»Hörst du mich, Herzl? Sie sagen, du bist an diesem Tag nicht hier gewesen. Sie wollen wissen, ob du ... ?«
»Bring mich zurück auf meine Station«, hallte Herzls Stimme drohend. Wieder übertönte das Stuhlrücken dumpfe Teile des Gesprächs.
»Nimmst du die Trauben nicht mit?« bat Theo.
Das Geräusch schwerer, schleppender Schritte erklang.
»Die Polizei durchsucht deine Wohnung«, sagte Theos Stimme herausfordernd. Balilati erstarrte, warf Michael einen tadelnden Blick zu, der zu sagen schien: Ich habe es dir gleich gesagt. Du bist schuld. Du hast es verbockt.
Das Geräusch der Schritte verstummte. »Es ist meine Wohnung!« war ein verzweifelter Schrei zu hören.
»Ich habe es Ihnen gesagt, und ich habe Ihnen auch gesagt ...«
»Sie dürfen meine Sachen nicht anfassen!« Herzls Stimme wurde lauter, war plötzlich voller Leben und Klarheit. »Meine Sammlung, meine Listen, meine Instrumente, meine Schallplatten, sie werden mir das Virginal, das ich ge baut habe, kaputtmachen! Es ist meins. Ich habe nichts von niemandem genommen!« Jetzt weinte er laut, und Theos beruhigende Stimme, ein lautes Klopfen und ein leises Murmeln konnten das Weinen nicht übertönen.
»Ich habe nur ... ich habe deinem Vater gesagt, man darf nicht ... man soll ...«, erstickte die Stimme. »Und ich habe ihm gesagt, er soll nicht mit dem Rechtsanwalt sprechen, aber er ... Ich will nicht, daß einer meine Sachen anfaßt.« Der Aufprall eines Körpers war zu hören und die erschrockene Stimme Theos, die rief: »Herzl! Herzl!« Das Geräusch der aufgehenden Tür. »Wir greifen ein«, wies Balilati an.
Theos Gesicht war kreidebleich, und er hatte den Mund weit aufgerissen wie eine Geistermaske. Er stand am Eingang des Büros des Verwaltungsdirektors, stützte sich mit dem Arm gegen den Türrahmen und sah sie an. »Ich weiß nicht, ob er tot ist«, sagte er heiser. »Sie ... Sie ... Ich habe ihm nichts getan.« Der Schrecken in seinen Augen machte rasch Ernüchterung und Anklage Platz. »Ich wußte, daß Sie lügen«, sagte er schließlich über Balilatis Rücken, der sich über Herzl beugte.
»Schwacher Puls«, sagte Balilati zu Michael. »Eine Beatmung ist nicht erforderlich.« Balilati schüttelte behutsam Herzls Schultern, gab ihm mehrmals einen Klaps auf die Wangen. »Holt einen Arzt«, wies er an, stand auf und verließ selbst im Laufschritt den Raum.
Theo fiel in den Ledersessel und starrte ins Leere. Mi chael sah ihn und den langen, sonderbaren Körper an, ne ben dem er kniete. Er legte seine Finger auf Herzls Handgelenk. Ein paar Sekunden lang verfolgte er das schwache Pochen, legte sein Gesicht nah an den verzerrten Mund, in dessen Winkel sich weißlich der Speichel sammelte, hörte den schwachen Atem, erhob sich und betrachtete die weißen, abstehenden Haarbüschel. Wie die Perücke eines Clowns. Er fragte sich, wie alt Herzl war. Er schien alt, aber sein Gesicht war faltenlos. Ein paar Zähne fehlten in dem aufgesperrten Mund, der aus der Nähe den Geruch von Tabak und Aceton verströmte.
»Sie haben ihm von der Hausdurchsuchung erzählt«, sagte er schließlich.
»Um ihn aufzurütteln«, erklärte Theo mit ausgetrockne ter Stimme. »Er war völlig gleichgültig und apathisch.«
»Aber Sie haben sich nicht sehr bemüht herauszufinden, von welchen Noten er sprach.«
»Er ist krank, er ist verrückt. Er phantasiert ... « , mur melte Theo. »Er bringt alles durcheinander, Noten, Rechtsanwalt, einfach alles.«
»Aber Sie wissen, wovon er sprach«, versuchte Michael sein Glück.
»Ich?« staunte Theo. »Ich habe keine Ahnung. Ich verstehe überhaupt nicht ...«
»Es hat sich angehört, als wüßten Sie beide genau, worum es geht. Er sagte, ›bring sie mir‹. Er hat Ihnen die Melodie vorgesungen. Sie sind Musiker. Sie haben die Melodie erkannt«, beharrte Michael.
»Sehen Sie nicht, daß er geistesgestört ist? Sehen Sie nicht, daß er zusammenhanglos faselt? Ich habe keine Ahnung, was er da sang!« Theo sah den zusammengekauerten Körper an, und
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