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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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die vorher auf das Panorama des arabischen Dorfes zu Füßen des Berges geheftet gewesen waren, die heisere Stimme, die sagte: »Da hast du die Atmosphäre aus dem Lied: › Auf dem Gipfel des Scorpus- Berg‹. Schorer nickte in Richtung der entfernten Lichter, die auf den gräulichen Hügeln zu funkeln begannen, und Mi chael erkannte die Einfalt der Hoffnung, es ihm zu erspa ren, und die Unmöglichkeit eines Aufschubs. Gerade diese fahrigen Gedanken drängten ihn, den geeigneten Moment zu finden, in dem er Schorer den »Lagebericht«, wie er das, was er vorzutragen hatte, bei sich nannte, endlich erteilen würde.
    »Wie sieht es aus?« fragte Schorer plötzlich und kehrte der Landschaft den Rücken zu. »Schildere es mir kurz. Drei mal hat der Polizeipräsident hier angerufen. Zum Glück ist er mit seinen eigenen Skandalen beschäftigt und sitzt uns nicht so fest im Nacken. Aber diese Telefonate waren es ihm wert. Wer hat Balilati an deiner Stelle eingesetzt? Du selbst?«
    Michael nickte.
    Es verging eine Weile, bis er zu einer Erklärung ansetzte, ruhig und knapp, bis er über die Verkettung der Ereignisse am Tatort sprach, von dem Moment an, in dem er die Leiche Gabriel van Geldens zu Gesicht bekommen hatte. Schorer hörte zu, ohne ihn anzusehen.
    »In Ordnung. Ich habe verstanden. In diesem Fall bleibt uns offensichtlich nichts erspart«, sagte Schorer bestimmt. »Aber warum leitet Balilati die Ermittlungen? Seit wann gibst du so einen Fall ab? Hast du Probleme mit dem Studium? Ist es die Familie? Ist alles in Ordnung mit Juwal?«
    Mitunter schien ein Nicken, eine kleine Notlüge, ein mög liches Ausweichen, ein Ablenken solch ein leichter Ausweg zu sein und so verführerisch, dachte Michael, als er laut versicherte, daß Juwal völlig in Ordnung sei.
    »Du vermißt ihn sicher«, sagte Schorer in einem nachdenklichen Ton. »Man braucht viele Kinder, eines ist nicht genug.« Er sinnierte über die Schwierigkeit, Vater zu sein, die mit dem Alter der Kinder wuchs. »Was kann man schon groß tun, außer zuzuschauen und zu beten«, sagte er, und das nicht zum ersten Mal an diesem Tag.
    Wieder durchfuhr Michael ein hoffnungsvoller, ängstli cher Gedanke, daß die Sache doch noch abgewendet wer den könnte. Er meinte die Silhouette von Schorers Frau aus einer Nebentür auftauchen zu sehen und hoffte plötzlich, man würde Schorer rufen, man würde seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenken. Aber als er seinen Blick wieder auf den Mann neben sich richtete, sah er, wie dessen Augen an ihm hingen und nicht von ihm abließen. Wie einer, der gezwungen ist, in einen tiefen Abgrund zu springen, und der sich der Hoffnung hingibt, der Boden könnte irgendwie mit Sägemehl gepolstert sein, trug er mit knappen Sätzen alles vor, nachdem er verlegen, sich seines künstlichen Versuchs, objektiv und beherrscht zu klingen, voll bewußt, »die beson deren Umstände im persönlichen Bereich« erwähnt hatte.
    Zunächst erzählte er von dem Baby, wie er die Kleine gefunden hatte, von dem Bedürfnis, das Kind bei sich zu be halten, dann von Nita, und wie er die Anweisungen per Funk erhalten hatte. Er sprach von dem verhaltenen Widerstand der Kollegen gegen seine Mitarbeit und daß er weder auf den Fall noch auf das Baby verzichten konnte. Er wiederholte den Schluß ungläubig: »Ich kann nicht darauf ver zichten. Ich will beide«, sagte er zu seinem eigenen Staunen, als offenbare sich ihm zum ersten Mal eine große Wahrheit. »Ich brauche beide.«
    Michael Ochajon hatte das Gefühl, wenn er zwischen seinen Händen nicht eine Tasse Kaffee hielte, würde er sein Gesicht in den Händen vergraben vor lauter Angst, die ihn packte, als Schorers Gesicht ausdruckslos blieb. Die Angst legte sich sofort, aber keine Erleichterung nahm ihren Platz ein. Hätte man ihn in diesem Augenblick gebeten, über seine Gefühle zu sprechen, hätte er geantwortet, daß sein Herz leer sei. Daß er nichts spüre.
    Schorer schwieg lange.
    »Komm, wir setzen uns dorthin«, sagte er schließlich mit seiner nüchternen, kühlen Stimme und zeigte auf zwei Sessel, die im Flur freigeworden waren. »Komm, wir setzen uns und unterhalten uns ein wenig«, sagte er und faßte nach Michaels Arm, als müßte er einen Kranken stützen. Er ließ sich nahezu auf das orangefarbene Polster fallen und klopfte auf den Sessel an seiner Seite. Die Tasse stellte er auf den Fußboden und drehte sich Michael zu, der noch immer seine Tasse hielt, von der er nicht einmal einen Schluck

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