Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
war, der es ausgelöst hatte, der es aufgedeckt und aus den Tiefen an die Oberfläche befördert hatte. Und das, ohne Überlegung und ohne an die Folgen zu denken. Auf eine Weise, die untypisch für ihn war. Nur weil er unter anderem im Begriff war, zu seiner Verabredung mit Dora Sackheim zu spät zu kommen, und, sagte er sich schonungslos, weil er dabei war, eine Rechnung mit Dalit zu begleichen. Dabei spürte er keinerlei Rachsucht, und die Rache hinterließ in ihm auch nicht das Gefühl der Befriedigung. Wohin war der große Zorn verraucht, den er noch vor wenigen Minuten verspürt hatte? Wie war es möglich, fragte er sich, als er sie jetzt ansah und nur Verlegenheit, Schuld und großes Unbehagen fühlte, daß er sein Bedürfnis, sich zu rächen und es ihr heimzuzahlen, nicht bedacht hatte.
»Setz dich mit der Spurensicherung in Verbindung«, sagte Balilati ungeduldig zu Sipo. Eli Bachar folgte Michael, um Isi Maschiach abzuholen. Dalit zuckte die Achseln und raffte mit nervösen, hektischen Fingern ihre Papiere zusammen.
»Was soll das bedeuten?« sagte Michael zu Eli Bachar, als sie am Ausgang des Gebäudes standen.
»Was hältst du von der Geschichte?«
»Ich hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl bei ihr«, gestand Eli. »Aber ich dachte, ich bilde es mir ein. Ich habe geglaubt, daß es nur wegen Balilati war, weil es mich nervös macht, wie er mich ausbootet und ständig Handlangerdienste von mir verlangt. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Ich denke«, er kaute an seiner Unterlippe, »daß wir auch die Sache mit dem Kontaktmann in New York überprüfen sollten. Wenn sie behauptet, daß sie mit ihm gesprochen hat, können wir womöglich nicht mehr davon ausgehen, daß sie es wirklich gemacht hat.«
»Das heißt, du ziehst die Möglichkeit in Betracht, daß sie es ist, die lügt?« vergewisserte sich Michael, und zu seinem Staunen bemerkte er die Welle der Angst, die in ihm hochstieg.
»Ich erinnere dich daran, wie lange es gedauert hat, von dem Zeitpunkt, an dem sie Herzl ausfindig gemacht hat, bis zu ihrer Meldung. Darüber denke ich nach und finde keine Erklärung«, sagte Eli Bacher.
»Was könnte sie für ein Motiv haben?« wunderte sich Michael und versuchte das Gefühl der Angst einzudämmen. Sie standen schon neben der Wagentür. Er sah auf die runden Dächer der russischen Kirche – wieder war er begeistert von ihrer kindlichen Pracht, die durch nichts gestört wurde. Wie aus einem alten Buch stand die Kirche zwischen den Autokolonnen, den Parkplätzen, den Zäunen rund um das Polizeigebäude, mit all den Menschen, dem Kiosk an der Seite. Plötzlich bemerkte er die dunkelbraune Schattierung der Dächer. »Waren die früher nicht grün?« staunte er.
»Was? Was war grün?«
»Diese Kirchendächer. Vor meiner Beurlaubung waren sie grün. Ich bin mir ganz sicher, daß sie grün waren.«
»Du hast recht«, lächelte Eli plötzlich, »sie waren grün. Sie sind schon eine ganze Weile braun. Ich weiß auch nicht, wie das passiert ist, vielleicht hat man sie gestrichen.«
»Sie weiß doch, daß wir die Dinge am Ende herausfinden. Wo liegt darin die Logik? Warum sollte einer so etwas tun, vor allem, wenn er weiß, daß er auffliegen muß?« sagte Michael standhaft.
»Früher hättest du dazu bemerkt, daß ›man schon Pferde kotzen gesehen hat‹«, antwortete Eli und schaute auf die Spitzen seiner schwarzen Turnschuhe. »Du hast es schon lange nicht mehr gesagt. Wenn es zutrifft, spinnt sie einfach«, dachte er laut.
»Eine ›einfache‹ Sache ist das auf gar keinen Fall«, präzisierte Michael und lauschte dem Heulen der Motoren. »Und das ist auch keine Erklärung, sondern eine Feststellung. Es ist klar, daß hier ein psychisches Problem vorliegt. Nur, was genau? Tu mir einen Gefallen«, fiel ihm plötzlich ein. »Fahr du mit ihnen nach Zikhron Yaakov und nicht Sipo. Bestehe darauf!«
»Wie bitte?« sagte Eli Bachar sauer. »Soll ich vielleicht Balilati darum bitten? Wie käme ich dazu? Ich bitte ihn um gar nichts. Wenn es ihm beliebt, dann soll er mich schicken. « Sein Gesicht war verschlossen. Er biß auf die Un terlippe, seine grünen Augen sahen in seinem dunklen Gesicht wie Oliven aus.
»Tu mir einen Gefallen«, bettelte Michael, »tu es nicht für dich, sondern für mich als deinen Freund. Was soll ich dort mit Sipo? Als erstes muß man unterwegs hören, was sie miteinander reden. Zweitens ... ist es wirklich zu gefährlich.«
»Im Auto ist ein Abhörgerät. Sie fahren in
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