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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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einem Wagen der Spurensicherung. Ich weiß, daß sie etwas installiert haben. Es war meine Aufgabe, es zu organisieren, damit du siehst, wie ich hier aufgestiegen bin. Dafür bin ich Balilati gut genug.«
    »Ich brauche dort jemanden, der sich auskennt, jemanden, mit dem ich schon ... mit dem ich mich verstehe. Du weißt, was ich meine. Ich brauche dringend jemanden, der sie nicht aus den Augen läßt. Man kann nie wissen ...«
    Eli senkte den Kopf, begutachtete wieder seine Schuhe und zeichnete mit seinem rechten Fuß einen kleinen Kreis. »Gut, mal sehen«, sagte er unwillig, »ob es sich machen läßt.«

12
Der richtige Abstand
     
     
     
    Mit großer Verspätung erreichte er Holon. Hinter einer Hecke kreiste auf einem kleinen Rasenstück ein Rasensprenger. Petunien in roten Tontöpfen sprenkelten vor den frisch gekalkten Häuserreihen das Grün mit kräftigem Rosa, Violett und Weiß. Ein gepflasterter Weg, kurz und ge rade wie ein Lineal, führte zum Eingang. Zweimal hatte er die Zufahrt-Verboten-Schilder ignoriert, als sein Wagen sich durch die engen Straßen schlängelte, die hinter der Hauptstraße schneckenförmig in Sackgassen mündeten. Er folgte der Karte, die Theo ihm aufgezeichnet hatte. »Sie wohnt noch in der Eineinhalbzimmerwohnung, die ihr in einem Wohnblock aus den fünfziger Jahren zugewiesen worden war, als sie nach dem Krieg einwanderte. Noch dazu in Holon! Damit Sie verstehen, mit wem Sie es zu tun haben«, sagte Theo und hob den Kopf über das Papier, auf das er den Weg skizzierte. »Überall sonst auf der Welt wäre sie ... Gott weiß wie vermögend. Eine Musikerin von ihrem Niveau. Wobei alle großen Geiger der Welt ihr die Karriere verdanken. Es ist ihr ausdrücklicher Wunsch, daß sie noch in Holon wohnt. Nicht, daß man ihr nichts anderes angeboten hätte«, Theo schwang den Zeigefinger, »aber sie beharrt darauf, daß diese Dinge unwichtig sind. Es ist ihr einfach zuviel. Die Wohnung ist nicht schlecht, und in Budapest hatte sie auch keine bessere. Obwohl sie schon vor dem Krieg eine sehr renommierte Geigerin war und vor einer internationalen Karriere stand. Dann kam der Krieg, und später ist sie nicht mehr zu ihrem Spiel zurückgekehrt. Sie war in den Lagern. Ich weiß nicht genau, wo, ich glaube in Auschwitz. Sie hat gemeinsam mit ihrer Tochter überlebt. Wenn sie uns hin und wieder etwas vorspielte, spielte sie einfach wunderbar. Sie hatte eine Tochter, die sie mit zwanzig von ihrem ersten Ehemann bekam – was heißt hatte , sie lebt noch. Aber in Cleveland. Sie ist auch Musikerin, Sängerin. Dora Sackheim war dreimal verheiratet. Sie hat alle drei Männer überlebt«, Theo kicherte. Dann wurde er wieder ernst und erwähnte, wie nebenbei, daß der erste, der Vater der Tochter, wie er glaubte, im Holocaust umgebracht wurde, und er lächelte, als er zu dem dritten Mann kam: »Und einer, der letzte, hat sie auch noch nach Israel ver schleppt. Ich kann mich sogar noch an ihn erinnern. Er hatte einen Schnurrbart und war immer mit einem Hut auf dem Kopf auf dem Weg nach draußen. Irgendwann war er weg. Auch ihn war sie recht schnell losgeworden. Aber die Wohnung wechseln wollte sie nicht. Sie sagt, im Krieg hielt sie es nicht für möglich, daß sie noch einmal im Leben auch nur einen Quadratmeter für sich haben würde. Und die Wohnung genügt ihr, oder wie sie sagt – schon so ist alles ein großes Wunder. Sie können ihr keinen Manierismus unterstellen, wenn Sie erst gesehen haben, wie sie lebt. Als ob es auf der Welt nichts außer Musik, ihren Schülern und vielleicht ein paar Büchern gäbe. Nichts weiter. Auch Gabi hat versucht, sie zu einem Umzug zu überreden – ohne Erfolg.«
    Ein paar Minuten lang stand Michael vor der geschlossenen Tür in dem Wohnblock in Holon, vor der Wohnung im vierten Stock, zu der er siebenundsechzig – er hatte sie gezählt – enge, steile Stufen hochgestiegen war. Er wunderte sich, daß eine Frau ihres Alters diesen Weg Tag für Tag zurücklegte. Hinter der geschlossenen Tür hörte er Geigenklänge. Es war die Sarabande aus der zweiten Partita von Bach. Das erste Stück, das ihm niemand nahegebracht hatte, das er selbst zu lieben gelernt hatte und von dem er die Vorstellung hatte, es regelrecht entdeckt zu haben, und das er nicht zuletzt aus diesem Grund ganz besonders liebte. Die Töne schienen rein, vibrierend und wunderschön. Er war tete darauf, daß jemand sie unterbrach, um läuten zu können. Ein paarmal näherte er seinen Finger der

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