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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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gleich wegzubringen, es zu melden, die Suche nach der Mutter auszulösen. Wie sie ihn nach dem Warum fragen würde. Warum. Wieder übermannte ihn eine Mischung aus Bedrückung und Scham über sein Verhalten, das er selbst nicht verstand. Aber sie saß mit übereinandergeschlagenen Beinen ruhig vor ihm. Nachdem sie geputzt hatten, hatte sie sich umgezogen. Die hellblaue Bluse, die sie jetzt trug, war zwar nicht gebügelt, aber sie hatte keine Flecken. Nun zeichnete sich auch ihre Magerkeit ab. Sie drehte das Glas zwischen ihren großen Handflächen und sah ihn gütig an.
    »Was ist Nita für ein Name? Ist das eine Abkürzung?« fragte er, um Zeit zu gewinnen.
    »Nein, es ist der volle Name. Ich heiße nach Nita Bent wich, der Schwester von Thelma Yellin. Ich sollte eigentlich Thelma heißen, aber meine Mutter kannte eine Thelma, die sie verabscheute, eine Mitschülerin, und darum hat sie beschlossen, mich nach ihrer Schwester zu nennen, die vor Thelma starb.«
    »Thelma Yellin? Nach der die Schule benannt ist?«
    Sie nickte.
    »Ich glaube, sie war auch eine Cellistin.«
    »Eine ausgezeichnete sogar. Sie spielte mit Schnabel, Feuermann schenkte ihr sein Cello, und Casais hatte ihr Unterricht gegeben.«
    »Die Familie Bentwich stammt aus Zikhron Yaakov. Hat Nita Bentwich nicht Selbstmord begangen?«
    »Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur, daß sie krank war«, wich sie aus.
    »Dann haben Ihre Eltern von vornherein bestimmt, daß Sie einmal Cellistin werden würden?«
    »Sie haben es immer abgestritten«, kicherte sie. »Sie haben behauptet, es sei ihr kleiner Beitrag zur Erinnerung an Thelma Yellin. Sie war so eine große Persönlichkeit. Meine Mutter benutzte immer das Wort ›groß‹, wenn sie von ihr sprach. Sie kannte sie persönlich. Sie hat mir oft erzählt, wie Thelma ein Orchester gründete, von ihrer Kammermusik, vom Musikleben, das sie maßgeblich beeinflußte, wie aktiv sie war, und solche Dinge ... Sie hatten sich zunächst vorgestellt, daß ich Klavier spielen würde, wie meine Mutter. Ich habe mich dann für das Cello entschieden. Im Alter von vier Jahren habe ich angeblich ein Cello spielen hören und nicht lockergelassen, bis sie mir ein Instrument kauften. Die Sache mit Thelma Yellin haben sie dann noch hinzugedichtet.«
    Konnte man jemandem vertrauen, der mit einem Silberlöffel im Mund geboren wurde? Das war die Frage, die ihn nun beschäftigte. Sie zeigte keine Spur von Arroganz, rief er sich in Erinnerung, doch zur Sicherheit zögerte er es noch hinaus. »Und Ihre Mutter?«
    »Was meinen Sie?«
    »Hat sie auch ein Instrument gespielt?«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß sie Klavier spielte. Aber ihre Karriere endete früh. Zuerst kam der Krieg, dann die Einwanderung nach Israel, und dann mußte sie sich dem Geschäft widmen, zusammen mit meinem Vater. Sie haben alles zusammen gemacht.« Ihre Lippen verzogen sich miß mutig. »Für das Geschäft hat sie das Spielen aufgegeben. Sie ist ein klassisches Beispiel für eine Frau, die verzichtet hat. Auch wegen des Krieges. Aber wenn sie gefragt wurde, hat sie immer behauptet, daß sie glücklich ist. Sie spielte für den Hausgebrauch.«
    »War sie auch so ironisch?«
    »Nein«, lachte sie und nippte an dem Kognak. »Nein, wirklich nicht, sie war ein eher ängstlicher Mensch. Ständig machte sie sich Sorgen um mich. Man mußte es immer vor ihr verbergen, wenn ich irgendwelche Schwierigkeiten hatte. Als ich in Amerika studierte und Examen machte, war sie aufgeregter als ich selbst. Und wenn ich ein Konzert gab, hatte sie schreckliches Lampenfieber. Immerzu lebte sie in der Angst, in New York könnte mich jemand überfallen. Wissen Sie«, sagte sie nachdenklich, »so aufzuwachsen ist sehr schwierig. Es darf dir nie schlechtgehen, denn das macht deine Mutter kaputt. Überhaupt, wenn man das Nesthäkchen war und doch von allen geliebt wurde, wie konnte es einem da schlechtgehen?«
    »Warum denn auch?«
    »Ich ... ich habe nie etwas leichtnehmen können. Vielleicht wird man so geboren, übersensibel, entschuldigen Sie den Ausdruck, ich meine das nicht als Selbstlob, sondern es ist eine Tatsache.«
    »Vielleicht hängt es damit zusammen, daß Sie Künstlerin sind?«
    »Kann sein, dann sollte ich die Kunst ernster nehmen.«
    Man konnte den Augenblick noch hinauszögern, aber er ertrug die Spannung nicht länger, diese Ungewißheit über ihre Reaktion. Ausgerechnet in diesem Moment, in dem ein scheinbar angenehmes Schweigen herrschte, hörte er sich sagen:

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