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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Zwischen ihren Augenbrauen tauchten zwei senkrechte Linien auf, und für Sekunden verzog sich ihr Mund zu dem Ausdruck des Schmerzes. Sie schüttelte mürrisch den Kopf: »Kitsch!« beurteilte sie sich abfällig. In seinen Ohren jedoch klangen ihre Töne ganz wunderbar. Sie schnitten ihm ins Herz und berührten einen bestimmten Punkt. Manchmal schämte er sich für die Erregung, die ihr Spiel in ihm auslöste. Vor allem, wenn er ihren Körper sah, wie er sich über das Cello beugte, die kühle Kraft, die in ihrem Arm lag, der sich mit solcher Sicherheit bewegte, hier und da einen Ausdruck der Entschlossenheit und des Genusses und die geschlossenen Augen.
    In den vergangenen Tagen hatte er immer stärker gespürt, wie sehr er es liebte, im Zimmer zu sein, während sie spielte. In diesen Augenblicken erschien sie ihm stark und in sich ruhend, unnahbar und schön. Sie erweckte in ihm den starken Wunsch, in ihrer Nähe zu sein und immer wieder ihre kindliche Sanftheit zu spüren, die so offenkundig war, wenn sie ihren Sohn oder das Baby ansah. Die Schwäche, die am ersten Abend ihres Zusammentreffens zu erkennen war, die Verletztheit, die sie in unerwarteten Momenten im Alltag ausstrahlte, alles schien von ihr abzufallen, wenn sie spielte. In den Stunden, in denen sie musizierte, hatte er das Gefühl, daß eine große Kraft wie eine Woge Grundwasser in ihr hochstieg. Daß diese Kraft alles übrige an den Rand drängte und daß diese Stärke ihr wahres Wesen war und alles an dere für Nita eine Herausforderung zu sein schien, an der sie sich erprobte.
    Es war merkwürdig, mit welcher Geschwindigkeit diese Intimität zwischen ihnen entstanden war. Sie gestattete ihr, Selbstgespräche zu führen, wenn sie in seiner Anwesenheit übte, und hinderte ihn nun daran, mit Bestimmtheit zu wissen, ob das, was ihn dahinschmelzen ließ, das mit solcher Intensität in ihn drang, ihr reales Spiel war oder die ganze Welt der Hoffnungen und Wünsche, die er kennengelernt hatte. Wieder hörte er ihre Theorie über das, was entscheidend war. »Was du fühlst, das ist die Wahrheit.« Aber wie konnte man mit Sicherheit wissen, was man fühlte? Wie konnte man die Wirkung des Spiels von allen übrigen Empfindungen isolieren? Und was war, wenn er dem Spiel Nitas vertraute Gefühlswelt entnahm, und nicht den reinen Aus druck der Musik an sich? Gab es das überhaupt, den »rei nen Ausdruck der Musik«? Hatte die Musik einen Wert, wenn es niemanden gab, der sie wahrnahm? Was zählte überhaupt das Gespräch über Musik und Gefühl, wenn man an den physikalischen Prozeß dachte, wie ein Ton sich dem Hirn mitteilte. Denn man mußte berücksichtigen, daß das Empfangen eines Klangs im Grunde das Ergebnis eines physikalischen Vorgangs war und erst im Hirn die im Ohr empfangenen Schallwellen als Musik interpretiert wurden.
    Er schielte auf den bärtigen Mann, der zu seiner Rechten saß. Weil Michael Nitas Gast war, saß er in der Reihe der Ehrengäste. Er hatte noch nie so nah an der Bühne gesessen. Er konnte das rechteckige Holzstück sehen, in dessen Schlitz der Kontrabassist den Metalldorn gesteckt hatte, um sein Instrument zu stabilisieren, oder den schwarzen glän zenden Streifen entlang eines Hosenbeins, ja sogar die schie fen Absätze der Bratschistin, die ihre Beine unter dem Sitz verschränkt hatte, während sie die Bratsche auf die Schul ter legte und ihr das linke Ohr zuneigte. Der Mann zu sei ner Rechten machte sich eine Notiz auf den Rand des Programmheftes. Was ging beispielsweise in diesem Ehrengast vor, zweifelsohne ein Musikkritiker, der die Beine ausgestreckt hatte und der die Mundwinkel zu einem Ausdruck verzog, der besagte: »Mal sehen, was sie zu bieten haben?« Hörte auch er die Trauer, die von den Saiten des Cellos ausging? Konnte er sich überhaupt so sehr bewegen lassen?
    Der Sitz zu seiner Linken war leergeblieben. Eigentlich sollte Nitas Vater dort sitzen. Vor dem Konzert hatte sie Mi chael ihren Brüdern vorgestellt. Theo van Gelden hatte ihn mit flüchtiger Neugier gemustert, seinen Frack zugeknöpft und ihm kräftig die Hand geschüttelt. Es war seltsam, in seinem Gesicht die männliche, dunkle Variante von Nitas Zügen zu erkennen. Auch sein Gesicht war lang und schmal, und seine Augen waren hell und lagen sehr tief hinter einer Brille mit feinem Rand. Er war dreizehn Jahre älter als Nita, und von seinen Lippen, die voll waren wie die ihren, gingen zwei tiefe, kurze Furchen aus, und sein spitzes Kinn stach vor. Gabriel,

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