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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Demütigung. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, sich völlig von ihm zu lösen. Es wäre sicherlich eine Erleichterung. Vielleicht er schreckt Sie der Gedanke, wie gut und richtig es für Sie wäre.«
    Sie würgte den letzten Bissen des Omeletts herunter. »Was verstehen Sie schon davon«, sagte sie schließlich, »lachen Sie nur über mich.«
    »Gott behüte. Ich lache Sie nicht aus. Ich weiß genau, wo von ich spreche. Erstens bin ich selbst geschieden, außerdem habe ich selbst geliebt und auch einiges von anderen mitbekommen.«
    »Da sehen Sie es selbst«, sagte sie triumphierend. »Sie le ben doch auch allein. Das ist eine Tatsache. Wissen Sie, wie alt ich bin?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Achtunddreißig!« sagte sie trotzig. »Wie oft kann ich noch jemandem vertrauen?«
    Er warf den Kopf in den Nacken und lachte auf. Er fand sie nett, vielleicht ein wenig naiv. Er hätte sie gern in den Arm genommen. Ihr Gesicht wurde mürrisch, sie sah ihn beleidigt an. Er hörte auf zu lächeln. »Ein wunderbares Alter, achtunddreißig, phantastisch. Solange die Kinder schlafen, könnte ich Ihnen ein wenig in der Küche zur Hand gehen. Wie wäre es, wenn Sie inzwischen etwas Musik auflegten?«
    Sie machten sich an die Arbeit. Im Wohnzimmer spielte Alfred Brendel das »Andante con variazione« von Haydn. Ab und zu hielt Nita inne und lauschte der Musik. Einmal sagte sie zu ihm: »Hören Sie nur, wie schön.« Sie summte mit der Musik, und einmal rief sie aus: »Was für ein Mensch Haydn war! Ein geniales Talent!«
    Michael schwieg. Die Musik, die er nicht kannte, erweckte mit ihrer Sanftheit und ihrer überraschenden Melodik Sehnsucht und Trauer in ihm. Er achtete auf den ruhigen, reinen Klang des Klaviers in den Variationen und wußte, daß er sie von nun an überall heraushören würde, schon nach den ersten Tönen. Er sagte kein Wort. Wieder wurde ihm die Peinlichkeit seines inneren Zwangs bewußt, das Baby für sich zu behalten, und das starke Gefühl überkam ihn, daß sein Impuls einer Schattenseite seines Charakters entsprach und in krassem Gegensatz zu dem Bild stand, das man sich von ihm machte. Vielleicht benutzte er das Baby einfach, um seinem Leben einen neuen Sinn zu geben, wie Nita es genannt hatte. Plötzlich löste die Musik – überraschend, weich und melancholisch und so anders als alles, was er von Haydn kannte – den starken Wunsch in ihm aus, leise zu weinen. Im Spülbecken war kein Geschirr mehr. Nita goß Wasser aus dem Kessel in die beiden Fläsch chen und rührte das gelbliche Pulver hinein. Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelte. Die Musik ging zu Ende.
    »Noch einmal bitte!« sagte Michael.
    »Ja, es ist wirklich schön«, bestätigte sie, als sie in die Küche zurückkam und die Melodie des Andante wieder einsetzte. »Ich wünschte, ich hätte einmal mit ihm spielen kön nen. Ich habe schon mit sehr guten Pianisten gespielt«, sagte sie schüchtern. »Er ist wirklich großartig!«
    Die Stühle standen auf dem Küchentisch. Der Fußboden war fast trocken. Alles blitzte vor Sauberkeit. Aus Idos Zimmer kam immer noch kein Ton. Es schien Jahre her, seit er das letzte Mal so etwas wie Freundschaft empfun den und eine normale Beziehung gehabt hatte. Diese angenehme Empfindung überwältigte ihn so sehr, daß er erschrak. »Müssen wir sie wecken, um sie zu füttern?« fragte er.
    »Auf gar keinen Fall«, bestimmte sie. »Wie alt ist eigentlich Ihr Sohn?«
    »Fast dreiundzwanzig.«
    »Hat man damals die Kinder noch schreien lassen und nur alle vier Stunden gefüttert?«
    »Ich glaube nicht. So genau weiß ich es nicht mehr.« Er lächelte. »Es scheint mir, daß wir ihn permanent gefüttert haben. Seine Hauptbeschäftigungen waren Trinken und Schreien. Seine Großeltern waren der Meinung, daß ich ihn zu sehr verwöhnte, weil ich ihn dauernd auf den Arm nahm, anstatt ihn schreien zu lassen. Ich brachte es nicht übers Herz.«
    »Seit wann sind Sie geschieden?«
    »Schon lange.«
    »Und was war der Grund?«
    »Wir hätten gar nicht erst heiraten sollen. Wir haben nicht zusammengepaßt. Wir haben uns nicht geliebt.«
    »Und danach haben Sie nicht wieder geheiratet?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Es ist nicht dazu gekommen.«
    »Nicht dazu gekommen?!«
    Er schwieg und ging ins Wohnzimmer, kam zurück in die Küche, hob die Stühle vom Tisch, rückte einen Stuhl zurecht und setzte sich, zog noch einen Stuhl vor und schob ihn neben den seinen. Dann stellte er den

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