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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Heldenmut und Unglück entstehen, doch war auch das Echo eines anderen Rossini zu hören, eines viel fröhlicheren, der Michael geradezu zum Lachen brachte. (Es gibt keinen Komponisten, dessen Musik so humorvoll ist wie Rossini, hatte Maja vor Jahren behauptet. Dadurch war in ihm der Eindruck von etwas Unseriösem entstanden, und dies war der Grund, weshalb er sich nie mit Rossini auseinandergesetzt hatte. Als er ihn in den letzten Tagen entdeckte, als er das Cello in der Ouvertüre hörte, konnte er nicht mehr verstehen, wie er bis jetzt auf Rossinis Werk verzichten konnte).
    Und dennoch, bei dem Jubel, der beim Galopp der Schützen aufkam, nachdem der Sturm sich endgültig gelegt hatte, verlor Michael die Konzentration und sah sich im Saal um. Die Trompetenfanfare, die das Alphorn und das Singen der Vögel zum Schweigen gebracht hatte, spielte nun jenes Thema, das ein fester Bestandteil im Repertoire des Polizeiorchesters bei offiziellen Anlässen war. Sein Blick fiel auf das breite Lächeln des alten Mannes, der vor ihm saß und mit den Fingern auf die Sessellehne trommelte. Die junge Frau neben dem Alten lehnte ihren Kopf gegen dessen Schulter, und ihr dunkles, langes Haar fiel über den Sitz und berührte das Knie des Musikkritikers – jetzt bestand kein Zweifel mehr an seiner Profession –, der mit dem Kopf nickte und pausenlos Notizen machte. Hinter Michael, nicht weit von seinem Ohr, wurde langsam und sorgfältig ein Bonbon aus seinem Papier befreit. Das Rascheln des Zellophans störte ihn erheblich. Er drehte sich um und fixierte demonstrativ zwei ältere Damen, um ihnen zu suggerieren, daß sie aufzuhören hatten, als seine Augen sich vertrauten Knopfaugen gegenübersahen. In einer Furche zwischen einem Doppelkinn und einer schweren Brust funkelten grüne Perlen. Es waren die Perlen, die auf dem Busen der Krankenschwester geruht hatten, die ihm zwei Tage zu vor von der Fürsorge geschickt worden war. Sie lächelte ihm jetzt von ihrem Sitzplatz hinter seinem wissend zu, schob ein gelbes Bonbon in ihren Mund, neigte sich zur Seite und flüsterte etwas in das Ohr ihrer Nachbarin.
    Er drehte sich wieder um und sah zur Bühne. Doch das Bild der Ohrläppchen, die sich unter dem Gewicht rotgoldener, mit blauen Steinen besetzter Ohrringe gefährlich in die Länge zogen, konnte er nicht mehr aus seinem Kopf ver treiben. Die Krankenschwester Nechama, die sie geschickt hatten, um zu überprüfen, ob er als Pflegefamilie geeignet war, saß nun genau hinter ihm und konnte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß er untauglich war. Denn er war hier, und das Baby? Beinahe hätte er sich umgedreht, um ihr von der Kinderfrau zu erzählen und daß er hiersein mußte wegen Nita. Doch statt dessen heftete er seinen Blick auf den Rücken Theo van Geldens, der am Dirigentenpult mit den Füßen aufstampfte. Dann stützte er die Ellbogen auf die Lehne seines Sitzes und legte sein brennendes Gesicht in seine kühlen Handflächen. Er redete sich zu, ruhig zu bleiben, und zwang sich, gleichmäßig weiterzuatmen. Er rief sich in Erinnerung, daß weder diese Krankenschwester noch die Leiterin des Jugendamtes, noch die Sozialarbeiter einen Grund hatten zu bezweifeln, daß Nita und er zusammenlebten und sich um ihre Kinder kümmerten. Es mußte ihnen auch einmal erlaubt sein, ein Konzert zu besuchen, unter der Bedingung, daß die Kinder beaufsichtigt wurden. Aber er konnte sich einfach nicht beruhigen. Er riß sich zu sammen und kehrte gedankenschwer zurück zur Musik. Die Ouvertüre ging gerade zu Ende, und das Publikum applaudierte frenetisch. Um ihn herum erklangen »Bravo«-Rufe. Der Bärtige zu seiner Rechten allerdings verzog keine Miene und applaudierte auch nicht.
    Ein plötzliches Frösteln durchfuhr ihn wegen der Knopfaugen, die auf seinen Nacken gerichtet waren – er wußte, daß sie nicht von ihm abließen –, und auch weil er sah, wie Nita sich von ihrem Platz auf der Bühne erhob, um den Sitz neben seinem besser sehen zu können, der noch immer leer war. Er bemerkte auch, wie Gabriel van Gelden, der aufgestanden war, um die Hand des Dirigenten zu schütteln, seinen Kopf dem Nebeneingang zum Saal zuwandte. Und es entging ihm nicht, daß auch Theo van Gelden, der sich inzwischen tief verneigte und die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Solocellisten – Nita verbeugte sich ungeschickt–, das Orchester und den ersten Geiger lenkte, für einen Moment erstarrte, als sein Blick auf die Reihe fiel, in der Michael

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