Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
sie hin und wieder Ido in der Mitte des Zimmers auf den Arm hob, ihn durch die Luft schwang und ihm einen Vortrag über musikalische Fragen hielt. Es hatte einen Moment gegeben, an dem sie die Kleine auf dem Arm gehalten und summend gewiegt hatte, in dem – er hatte sie aus der Küche dabei beobachtet – alles vollkommen und richtig zu sein schien, so daß er sich nur schwer zurückhalten konnte, um beide nicht zu umarmen. Manchmal zweifelte er und dachte, er wolle wohl nur dem Baby einen passenden Rahmen geben. Er hatte sich dazu entschlossen, ihm ein anständiges Leben zu bieten, und dazu gehörte eine Frau. Aber er wollte auch, daß die Kleine nur ihm gehörte. Wie Nita selbst von ihrem Baby sprach.
Wie groß das Glücksgefühl sein könnte beim Klang der reinen Triller der Flöte, die die zierliche Künstlerin mit solcher Leichtigkeit hielt. Ihr Körper bewegte sich bei jedem Beginn einer Passage in einem Bogen und richtete sich wie ein Blumenstiel auf, wenn die Passage zu Ende ging. Wie groß das Gefühl des Glücks sein könnte, wenn die Dinge an ders lägen. Wenn die drückende Last nicht alles verderben würde. Für einen Moment sah er das süße Gesicht des Ba bys vor seinen Augen. Bei sich nannte er sie immer noch das Baby, obwohl er sich auch an den Namen gewöhnt hatte, den er ihr damals hastig gegeben hatte, weil ihm kein passenderer eingefallen war. Auch die Gedanken an die langen Nächte, in denen sie alle zwei Stunden aufwachte, als ob sie den bodenlosen Hunger noch nicht überwunden hätte, und die Ruhe, mit der er sofort aufstand und sie fütterte, mit ihr in der Wohnung herumlief und sie nach dem Trinken über seine Schulter legte, allein mit sich selbst und doch ganz und gar nicht allein. Wieviel Süße enthielt diese Sache, die etwas verhieß, nach dem er sich sehnte. Dieses Antlitz einer menschlichen Kreatur, deren Wünsche und Bedürfnisse man voll und ganz befriedigen konnte, die man glücklich machen konnte.
Aber er konnte erneut das Mißtrauen auf dem Gesicht der Krankenschwester nicht ganz verdrängen, die man von der Fürsorge geschickt hatte. Michael hatte die Tür geöffnet. Es war kurz vor ihrem Feierabend, zwei Tage vor Jom Kippur. Seit dem Morgen hatte er auf sie gewartet. Zunächst hatte er mit dem Gedanken gespielt, zur Arbeit zu gehen. Nita hatte an dem Tag im Schlafzimmer geübt, das ein wenig abseits lag, damit die Beauftragte von der Fürsorge sie nicht bei einer anderen Beschäftigung sah als der Pflege der Babys. Er hatte mit ihr geübt, was sie antworten sollte, wenn sie gefragt würde, und war dabei davon ausgegangen, daß er nicht zu Hause sein würde. Aber natürlich war es ihnen lieber gewesen, daß sie kam, während er da war, damit sie gemeinsam das Bild eines perfekten Paares abgeben könnten.
»Du bist gerissener«, sagte Nita ohne Kritik, nachdem sie gehört hatte, wie er am Telefon mit der Verantwortlichen vom Jugendamt gesprochen hatte. »Ich bin zu naiv und zu blöd.« In dem Moment, als sie das Wort »blöd« aussprach, hatte sich ihre Miene verfinstert, und er hatte gleich gewußt, woran sie dachte. Aber er hatte ihre Meinung geteilt, daß er der Gerissenere war und daß es deshalb ratsam war, daß er zu Hause blieb. »Ich habe sowieso das Gefühl, daß mich jeder sofort durchschaut. Ich gebe auch immer sofort auf. Die Verlockung zu gestehen ist groß«, hatte sie geklagt.
Der Besuch der Schwester sollte überraschend erfolgen. Nicht einmal den Tag kannten sie genau. Und das war es, was die Sache wie einen Hinterhalt erscheinen ließ, wie eine Fallgrube. Und das war es auch, was ihn jetzt noch wütend machte, als er die Anwesenheit der Krankenschwester in seinem Nacken spürte. Obwohl Zila, die sowohl zu den Kollegen vom Jugendamt als auch zu den Schwestern von der Fürsorge gute Beziehungen unterhielt, ihm erklärte, daß er es nicht persönlich nehmen durfte und daß sie beide es mit Leichtigkeit schaffen würden, als Pflegefamilie durchzugehen. Doch weil das Baby noch so klein war und sie schon ein Baby hatten, und weil die Kleine gesund und munter war, mußten sie die Prüfung über sich ergehen lassen. Zila war bei der Untersuchung durch den Kinderarzt dabeigewesen, der sich über die Kleine gebeugt und mit großer Zufriedenheit festgestellt hatte: »Ein richtiges Hexlein!« Michael war ein wenig eingeschnappt gewesen, doch der Arzt hatte gelacht und gemeint, dies sei seine liebevolle Bezeichnung für kleine Mädchen, die kerngesund waren. Er war mit
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