Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Art Scham über den Wunsch, das Baby zu behalten, hinderte ihn daran, direkt mit Eli darüber zu reden.
»Er ist der gleichen Meinung«, sagte Zila und senkte die Augen.
»Welcher denn?«
»Daß man Balilati einweihen sollte.«
»Mit seinem großen Mundwerk«, dachte Michael laut.
»Ich habe ihn schon sehr diskret erlebt. Außerdem hast du keine Wahl«, sagte Zila. »Du wirst nur eine Menge Schwierigkeiten bekommen. Es liegt doch auf der Hand, daß er es herausfindet. Er weiß am Ende immer alles.« Wieder spürte er den Stein im Magen, ein Rumoren, für das es keine objektive Rechtfertigung gab. Denn selbst wenn er davon ausging, daß Balilati von dem Baby und seiner Be ziehung zu Nita erfuhr, rief er sich zur Ordnung, war es klar, daß Balilati das Jugendamt und die Fürsorge nicht informieren würde. Selbstverständlich würde Balilati keine Mitteilung machen, daß Michael und Nita nicht wirklich zusammenlebten. Wovor hatte er also Angst? Vor der Preisgabe des Geheimnisses an sich, sagte er zu sich selbst, während er aus dem Fenster schaute und den Zigarettenrauch inha lierte. Vor dem Eindringen eines plumpen, fremden Fußes in seinen ganz persönlichen Lebensbereich. Balilati würde ihn wegen seiner Sentimentalität verspotten. Er sagte sich, daß er sich davor fürchtete, sich lächerlich zu machen, für dumm gehalten zu werden.
Plötzlich war er mittendrin, in der Angst, die das Eindringen der Außenwelt in seine Privatsphäre verursachte. Das Gesicht des Babys, seine Wangen, die langsam rund wurden, die großen Augen, die ihn verfolgten, wenn er es füt terte, wenn er mit ihm spielte, schwebten in der Luft. In den letzten zwei Tagen hatte er auch etwas Ähnliches wie ein Lächeln bemerkt, eine Art Zuckung der Lippen, und wenn Nita nicht hartnäckig darauf beharren würde, daß es zu früh war, wäre er überzeugt, daß es lächelte. Hätte er nicht diese Beziehung zu Nita, müßte er sich nun nicht bloßstellen. Aber wäre er nicht mit Nita zusammen, ginge er nicht als Pflegefamilie durch. Er würde mit Balilati sprechen, beschloß er noch, als Zila auf seinen Arm klopfte, zur Seite schielte und sagte: »Ich muß los. Sie bringen mich um, wenn ich nicht pünktlich bin.« Sie setzte sich in Bewegung, die Gum misohlen ihrer Sportschuhe knirschten bei jedem Schritt. Sie kam zu spät zur Sitzung der Mordkommission. Sie war mit ten in einem Fall, der die Stadt schon seit mehr als sechs Wo chen in Aufruhr versetzte. Es ging um das Pärchen, das erdrosselt im Auto aufgefunden worden war. Er würde mit Balilati sprechen, beschloß er erneut, und die Asche, die er in den Kaffeesatz geschnippt hatte, zischte. Vielleicht würde er sich sogar von ihm helfen lassen. Am Ende würden sie die Mutter finden. Man kann das Verschwinden eines Babys nicht auf Dauer geheimhalten, es sei denn, man verläßt das Land, man stirbt oder ändert den Namen. Oder war es doch möglich?
»Ja«, sagte Balilati nach einer längeren Pause. »Aber es geht ihnen nicht um Geld, und sie sammeln auch nicht wegen des finanziellen Gewinns. Sag mal«, wechselte er plötzlich das Thema, »reden wir nun über die Psychologie von Sammlern? Wolltest du darüber mit mir reden?«
Balilatis Gesicht war verschlossen, als wolle er sich von Anfang an gegen jegliche Beeinflussung schützen. Es hatte keinen Sinn mehr, um den heißen Brei herumzureden. Es lag plötzlich auf der Hand, daß er längst Bescheid wußte. Wie zwei beduinische Stammesfürsten, die mit Hilfe traditioneller Riten den Abschluß eines entscheidenden Handels herauszögerten, saßen sie zu beiden Seiten des Tisches über ihren Kaffeetassen.
»Du arbeitest mit Interpol«, sagte Michael, um die Sache noch etwas hinauszuzögern.
Balilati zuckte mit den Schultern. »Hier kann man nicht viel machen. Ich brauche Informationen aus Europa, das steht fest.«
»Ich habe dich schon lange nicht mehr so unlustig ermitteln sehen«, bemerkte Michael. Sie sprachen ruhig, als ob sie nichts Wichtiges zu besprechen hätten.
»Was soll ich von hier aus machen«, winkte Balilati ab und drehte die Kaffeetasse in seiner wuchtigen Hand hin und her, überprüfte ihren Inhalt wie eine Wahrsagerin, die aus dem Satz lesen wollte. »Keine Frage, daß es Punkte gibt, die nicht stimmig sind. Am wenigsten verstehe ich, warum der Einbruch nicht in seiner Abwesenheit stattfand. Das ist das Seltsamste, denn er hatte feste Gewohnheiten, der Alte, man hätte es tun können, ohne ihn umzubringen. Es ist selten, daß
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