Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
gewichen. Er hatte sogar zugenommen.
»Warum muß bei dir immer alles so kompliziert sein?« beklagte sich Balilati. »Hier haben wir eine junge Frau. Ganz einfach. Ich habe sie gesehen, an ihr ist nichts auszusetzen. Sie ist jung, erfolgreich, hübsch, nett, gesund, es ist wirklich alles an ihr dran. Wenn man ein Kind haben will, macht man ein Kind. Warum muß sie ein Kind von einem anderen haben, und du mußt noch eins dazu von der Straße auflesen? Wie ziehst du nur all diese Probleme an? Du hättest ... du hättest jede haben können, die du wolltest. Schließlich sind die Weiber alle verrückt nach dir. Was soll das?«
Michael senkte die Augen. »Das ist die große Frage«, sagte er schließlich.
»Ich halte dicht«, sagte Balilati und legte die Hand aufs Herz, »von mir erfahren sie nichts«, verkündete er feierlich, »aber diese Dinge lassen sich nicht lange verheimlichen. Du weißt so gut wie ich, daß du keine Möglichkeit hast, allein ein Kind großzuziehen, verzeih mir, wenn ich das sage.«
»Warum nicht?« wollte Michael wissen, legte die Hand unter seine Brust und preßte sie an die Stelle, an der der Stein lag.
Die kleinen, hellen Augen Balilatis öffneten sich mit einem Staunen, das mit Mitleid vermischt war. »In dem Moment, in dem du einen Fall bekommst«, sagte er einfach, »irgendeinen, hast du weder Tag noch Nacht Zeit. Ein Baby, wie du sicher weißt, ist ein Geschöpf, das Pflege braucht. Ein 24-Stunden-Job. Hast du das vergessen? Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie es mit Juwal war? Wie er immer wieder auf dich gewartet hat?«
»Vielleicht wird es jetzt anders«, murmelte Michael.
Balilati seufzte. »Umgekehrt. Der umgekehrte Weg. Es muß umgekehrt laufen.«
Michael fühlte sich wie ein Kind zurechtgewiesen. Das Gespräch machte ihm angst, weil es Wendungen nahm, auf die er nicht vorbereitet war. Er hatte keinen Grund zur Annahme, daß Balilati sich über ihn lustig machte. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er sich lustig gemacht hätte.
»In unserem Alter«, dachte Balilati laut und zerbrach den Zahnstocher, »weiß man längst, daß nicht alles, was die anderen machen, Mist ist. Das heißt – manchmal sind es die simplen Dinge, die eine Logik in sich bergen. Es ist umgekehrt, zuerst liebt man eine Frau, man findet eine passende, dann zieht man ein Kind groß. Das ist die richtige Reihen folge, das hat eine Logik, das ist der Lauf der Welt, du weißt es so gut wie ich.«
Michael kniff die Lippen zusammen und nickte. »Gut, mal sehen, mal sehen, was daraus wird«, sagte er in die Luft und schaute auf das offene Fenster, hörte auf das Zwitschern der Vögel und das Summen der Fliegen, nahm den Geruch des Herbstes wahr.
»Wie hat sie es aufgenommen, die Sache mit ihrem Vater«, fragte Balilati nüchtern.
Michael breitete die Arme aus. »Schwer, so genau weiß ich es nicht.«
»Sie stehen sich sehr nah, sie und ihre Brüder«, sagte Balilati, der eine große Farbphotographie aus der Tischschub lade zog. »Hier ist das Bild. Hast du es mal gesehen? Sieh es dir mal genau an. Es ist eine Photographie, die van Gelden von einem holländischen Museum hatte. Dieses Museum hatte einen Experten geschickt, der die Aufnahme von dem Gemälde gemacht hat. Wir haben Stunden gebraucht, bis wir sie gefunden haben in all dem Durcheinander.«
Der Totenkopf auf dem Bücherstapel glänzte in gelblichem Licht. In der rechten unteren Ecke lag eine kleine rötliche Holzflöte. Die Bücher türmten sich in einer vermeintlichen Unordnung, auf dem Einband des unteren Buchs konnte man gotische Buchstaben erkennen, und die verblichenen Goldränder der beiden Bücher darüber waren mit großer Sorgfalt gearbeitet. Das obere Buch war aufgeschlagen und schien im Begriff, herunterzugleiten und den Stapel zu Fall zu bringen. Zwischen Flöte und Totenkopf schwebte das zarte, rosagraue Gesicht einer Frau, deren rotes Haar ihr auf die Schulter fiel. Eine Schulter war nackt. Ein weißes, glänzendes Licht ging von der Frau aus. Gerade dieses Gesicht, dachte er, betont die Wirkung des Totenkopfs als etwas tatsächlich Vergangenes, Lebloses. »Vanitas«, sagte er laut, »eine nature morte .»
»Eine halbe Million Dollar und nicht versichert«, bemerkte Balilati.
»Nicht versichert?«
»Nein. Er war nicht bereit, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, eine Sicherheitstür, vergitterte Fenster. Keiner wollte ihm das Bild so versichern. Er wohnte in diesem alten Haus in Rehavia mit einer einfachen Holztür und
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