Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
und fragte: »Schweiz?«
»Zürich«, präzisierte Balilati. Auf dem Photo waren die Briefkästen und eine Klingenreihe mit den Namen der Bewohner zu sehen. Die Aufschrift »Fischer« war rot umrandet. Balilatis Atemzüge waren schwer, als er sich in dem kleinen Eckzimmer, das zuletzt das Büro der Sekretärin Imanuel Schorers, des Chefs der Kriminalpolizei, und vor Jahren auch Michaels Zimmer gewesen war, von der anderen Seite des Tisches über das Photo beugte und seinen Bauch gegen die Metallplatte preßte. Eine Gipswand trennte diesen Raum von dem Büro, das man Michael nach seiner Rückkehr zugeteilt hatte. Schon jetzt fragte er sich, wie er hier etwas vor Balilati geheimhalten sollte, der schon von weitem die Flöhe im Gras husten hörte. Obwohl die Gipswand gut den Lärm abhielt und Michael in seinem Büro nicht einmal das Telefon in Balilatis Zimmer klingeln hörte, verstärkte die physische Nähe das Gefühl der Belagerung, und es bedrückte ihn, daß sein Leben nun vor allen offen lag und Balilati, und nach ihm alle anderen, in den Eingeweiden seines Leben wühlen konnten, wann immer es ihnen gefiel.
»Hier, solch eine Adresse zum Beispiel, was meinst du, was sich dahinter verbirgt?« fragte Balilati und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Was sehen wir zunächst? Eine Galerie. Eine solide, seriöse Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Künstler und Agenten repräsentiert. Wollen Sie etwas sehen, interessieren Sie sich für etwas Bestimmtes, hier bitteschön! Du rufst bei denen an und vereinbarst ei nen Termin – ohne Termin läuft hier nichts –, und man sitzt in einem großen leeren Raum. Es steht vielleicht ein Stuhl drin, ein Sessel und eine große Staffelei, auf der sie die Bilder präsentieren, die du sehen willst. Du sitzt gemütlich da, bekommst vielleicht sogar Kaffee oder Tee, vielleicht auch sonst ein Gläschen, du bist der Kunde.« Er zog einen Zahnstocher aus der Tasche, steckte ihn zwischen die Lippen und zog ihn wieder raus, als er weitersprach: »Aber es gibt solche Kunden und solche, es gibt solche Gemälde und solche. Es gibt welche auf dem Tisch und welche unter dem Tisch.«
Michael sah die übrigen Photos aus dem Umschlag an und legte sie eines nach dem anderen vor sich. Er ordnete sie in einem Halbkreis an, von rechts nach links. Zuerst eine Vergrößerung der Wohnungstür mit einem roten Kreis, mit dem man das aufgebrochene Schloß markiert hatte. Daneben legte er eine Ablichtung des durchwühlten Zimmers. Dann den leeren Sessel. Er sah auf die Kreidelinie, die die Kollegen von der Spurensicherung um den Sessel gezogen hatten, in dem man die Leiche Felix van Geldens gefunden hatte. Ein Strick, mit dem seine Hände anscheinend gefesselt waren, hing noch über der schmalen Holzlehne des Sessels. Er sah auf das Photo eines ungemachten Doppelbettes und eines Wandschranks, dessen Türen aufgerissen waren und vor dem sich Kleider, Schuhe, eine alte Kamera und Photoalben türmten. Er legte die Nahaufnahme der ausgekippten Schubladen daneben, dann das Photo eines breiten, verschnörkelten Bilderrahmens, dessen vergoldete, gerun dete Ränder ihm ein schweres Aussehen verliehen. Leer, ohne Bild, war er in die Zimmerecke geworfen worden.
»Ideal für Bilder, die kein Rembrandt sind«, sagte Balilati mit stolzer Kompetenz und wedelte mit dem Photo des Züricher Wohnhauses. »Es gibt Leute, die hingehen, um eine bestimmte Bestellung aufzugeben. Angenommen es gibt jemanden, der hinter einem bestimmten holländischen Gemälde aus dem 17. Jahrhundert her ist, dessen Besitzer ein gewisser van Gelden ist, der in Jerusalem wohnt und nicht verkaufen will. Sie können was für ihn tun. Er muß gar keine Einzelheiten erfahren, nur bezahlen muß er, und zwar ziemlich viel, um zu bekommen, was er will. Man beschafft ihm die Ware und liefert, und er bewahrt sie an ei nem geheimen Ort auf, in einem Keller, was weiß ich, bis sie nicht mehr so heiß ist.«
»Aber kein Museum der Welt wird die Ware kaufen, auch nicht, wenn etwas Zeit verstrichen ist. Die Geschichte kursiert sicherlich unter allen Experten, jeder weiß, daß das Bild gestohlen wurde«, bemerkte Michael.
»Sei dir da nicht so sicher! Der Konservator des Tel Aviv Museums hat mir gestern erzählt, daß man auch in den Mu seen von solch einer Ware nicht abgeneigt ist. Sie können et was mutmaßlich oder tatsächlich unwissend erwerben und in ihren Magazinen aufbewahren. Auch in den Museen arbeiten nur Menschen«, kicherte Balilati.
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