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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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sich um, um sicherzugehen, daß Michael ihm folgte. Vor der Tür, vor der er stehenblieb, fragte er mit sichtlicher Nervosität, die sich rasch in offene Angst verwandelte: »Waren Sie heute nicht bei der Probe?« Michael nickte andeutungsweise, klopfte an die Tür und öffnete sie, ohne auf eine Antwort zu warten.
    Nita lag zusammengerollt auf einem hellen Sofa, das in der Ecke stand. Unter der karierten Wolldecke konnte man ihre Knie erkennen, die nah an ihren Körper gezogen wa ren. Ihre Augen waren geschlossen, und ihr bleiches Gesicht wirkte wie eine Wachsmaske. Er ging mit raschen Schritten auf sie zu, bückte sich und griff nach ihrem Handgelenk. Er fühlte ihren schwachen Puls. Alles war verloren, sagte er sich, als er ihr Gesicht ansah. Von dieser Geschichte wird sie sich nicht mehr erholen. Sie würde nie wieder mit strahlendem Gesicht ihren Lockenkopf auf seine Schulter legen und ihre Wange an seinem Arm reiben. Für einen kurzen Augenblick wollte er sie in den Arm nehmen und mit ihr fliehen. Dann rief er sich voller Selbstverachtung zur Ordnung. Sie lebt, rief er sich in Erinnerung.
    Theo saß auf einem kleinen Stuhl in unmittelbarer Nähe des Sofas. Als die Tür aufging, zog er die Hände vom Gesicht und drehte seinen Kopf zum Eingang. »Sie?« staunte er. »Man hat Sie geschickt?« stieß er schockiert aus. Sofort faßte er sich und fuhr sich mit ein paar fahrigen Bewegungen durchs Gesicht. »Vielleicht ist es gar nicht schlecht«, murmelte er. »Gerade weil Sie sie kennen ... Ich weiß nicht, wie sie damit zurechtkommen wird, sie ... Sie ist in einer solch schrecklichen Verfassung«, sagte er mit zittriger Stimme, »ich habe keine Ahnung, was wir mit ihr machen werden, wenn sie aufwacht. Ich fürchte diesen Augen blick.«
    »Es wird noch ein paar Stunden dauern, bis sie wach wird.«
    »Ich kann es nicht fassen«, flüsterte Theo, »innerhalb von zwei Wochen, nicht einmal zwei Wochen sind vergangen, und nun beide ... ich finde keine Worte.«
    »Wer hat ihn gefunden?« fragte Michael.
    »Nita«, antwortete Theo entsetzt, als könnte er erst in diesem Moment den Anblick nachvollziehen, der sich seiner Schwester geboten hatte. »Nita hat ihn gesucht. Er wurde erwartet. Ich habe noch mit der Paukerin auf der Bühne gearbeitet. Sie hat nach ihm gesucht.« Er holte tief Luft und zischte: »Und sie hat ihn auch gefunden.«
    Michael schwieg. Er ließ die Hand los und setzte sich auf die Kante des Sofas.
    »Es war vor ... ungefähr einer Stunde. Haben Sie ihn gesehen?« Michael nickte, aber Theo vergrub erneut sein Gesicht in den Händen und sah das Nicken nicht. Darum wiederholte er seine Frage. Diesmal hob er den Kopf und zeigte sein Gesicht, das gelblichgrau war und die Schattierung alten Bienenwachses aufwies. Unter seinen Augen lagen schwarzgrüne Ringe, wie Michael sie an den ersten Tagen, nachdem er Nita kennengelernt hatte, an ihr bemerkt hatte.
    »Ich habe ihn gesehen«, sagte Michael, »aber ich habe keine Informationen.«
    »Wer kann denn so etwas tun?!« flüsterte Theo hitzig. »Und auch noch auf diese Weise, das ganze Blut ...«
    Michael schwieg.
    »Ich verstehe es einfach nicht, als ob man ihn erdrosselt hätte ... oder als ob man versucht hätte, ihn zu köpfen. Wer wollte Gabriel den Kopf abhacken?!«
    »In der Zwischenzeit bleiben Sie hier und denken weiter über diese Frage nach. Sie ist ernst zu nehmen.«
    »Es ist unglaublich«, murmelte Theo durch seine Handflächen, in denen er erneut sein Gesicht verbarg.
    Michael widmete sich Nita. Sie rührte sich nicht. Ihre Atemzüge waren so flach, daß er gezwungen war, sich tief über sie zu beugen, und er richtete sich erst auf, als er ihren Atem auf seinem Gesicht spürte. »Ich komme bald wieder«, sagte er und schloß die Tür hinter sich.
    Die zuständigen Leute von der Spurensicherung liefen schon mit vorsichtigen Schritten am Tatort hin und her, der Gerichtsmediziner umkreiste den Flur mit kleinen Schritten, und der erste Geiger stand mit dem Rücken gegen einen Eisenschrank und fragte, ob er noch gebraucht werde. Niemand gab ihm eine Antwort, und so blieb er in seiner Ecke stehen. Michael drehte sich zu ihm um: »Wo sind denn die anderen? Wo sind die Musiker?« wollte er wissen.
    »Ein Teil ist schon weg, sie sind gegangen, bevor wir ihn gefunden haben, bevor wir davon erfahren haben ...«
    »Und der Rest?«
    »Sie sind dort, am Eingang«, sagte der erste Geiger und massierte seinen Nacken. »Ich habe ihnen gesagt, sie sollen nicht

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