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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Schulter hängen, nahm seine Brille ab, und mit demonstrativer Sachlichkeit ging er dazu über, den Zeitplan zu erörtern. »Wir waren um Viertel nach zwei, halb drei mit der Probe fertig. Da war er noch dabei, das heißt eine Minute vorher, und jetzt ...«, sagte er zögernd und sah auf die Uhr.
    »Jetzt ist es vier Uhr siebenundvierzig«, sagte der Pathologe. »Dann haben wir auch diesen zeitlichen Anhaltspunkt. Wenn wir davon ausgehen, daß die Körpertemperatur um ein Grad pro Stunde sinkt ... so in etwa, legen Sie mich nicht fest«, warnte er den Sachverständigen von der Spurensicherung, der neben ihm kniete, »ich rufe es uns nur in Erinnerung, daß sie in der Regel um ein Grad die Stunde sinkt. Wenn wir einmal von dieser Berechnung ausgehen, könnten wir folglich von zwei Stunden oder von anderhalb Stunden sprechen. Das heißt, der Tod müßte zirka gegen halb drei, drei Uhr eingetreten sein«, erklärte er Michael. »Aber las sen Sie mich auch die Leichenstarre überprüfen, damit wir soviel Anhaltspunkte wie möglich haben.«
    Er untersuchte Gabriels Gesicht, tastete den Unterkiefer ab und stopfte sanft seine gelblichen Gummifinger in die Mundhöhle. »Die Zunge ist nicht geschwollen, wie ich es mir gleich gedacht habe«, verkündete er befriedigt. »Erinnern Sie mich daran, es später zu notieren, machen Sie auch davon ein paar Aufnahmen, es könnte wichtig sein. Und die Kiefer«, stieß er aus, »lassen sich noch öffnen, nicht leicht, aber sie gehen noch auseinander. Sie wissen, wie das ist«, sagte er zu Zila, und sein Blick machte deutlich, daß er auf eine Antwort wartete oder selbst zu einer Erklärung ausholen würde.
    Zila nickte und deklamierte wie eine fleißige Schülerin: »Wenn die Kaumuskeln steif sind – sind seit dem Tod drei Stunden vergangen. Wenn man die Hände nicht mehr be wegen kann, sechs Stunden. Starre in den Beinen – bedeu tet seit acht Stunden Exitus.«
    »Bei einem Wetter wie heute«, präzisierte der Gerichtsmediziner, »nur wenn das Wetter so wie heute ist, so herbstlich.«
    »Dann liegt vermutlich noch kein Rigor mortis vor«, stellte Michael fest.
    »Wir sind kurz davor«, versicherte der Pathologe, »jeden Moment. Jetzt lassen Sie uns mal sehen, was der Livor mortis macht.« Er drehte die Leiche auf die Seite und schob das Hemd hoch. »Sehen Sie, die Flecken waren auf dem Rükken. Als ich ihn auf die Seite gedreht habe, sind sie in diese Richtung ausgelaufen. Wenn ich auf diesen Leichenfleck drücke«, sagte er und preßte gegen die blauviolette Hautfärbung, »verdrängt der Druck das Blut nach den Seiten.«
    »Schon jetzt? Nach ein, zwei Stunden?« wunderte sich Michael.
    »Wir müssen das Lebensalter berücksichtigen. Wie alt ist der Tote?«
    »Siebenundvierzig, wenn ich mich richtig erinnere.«
    »Nun, in diesem Alter treten schon Durchblutungsstörungen auf«, murmelte der Pathologe. »Es ist nicht ungewöhnlich, in diesem Alter kommt es schon nach einer Stunde zu Leichenflecken, das sehen wir hier.«
    »Was für eine Farbe!« murmelte Zila. Unter dem weißen grellen Licht des Scheinwerfers blühten die Flecken blauviolett.
    »So ist das mit einem Blut, das nicht mit Sauerstoff angereichert ist«, trällerte Solomon. »Sie sehen so was doch nicht zum ersten Mal.«
    »Man gewöhnt sich nicht daran«, seufzte sie und ließ die Finger durch ihre kurzgeschorenen Haare gleiten.
    »Bah«, winkte der Pathologe ab, »wenn man keine Wahl hat, gewöhnt man sich sehr wohl daran. Man gewöhnt sich an alles, wenn man keine Wahl hat, es ist unfaßbar, was für eine anpassungsfähige Spezies der Mensch ist«, brummte er und drückte auf einen großen Fleck, der sogleich auseinanderlief. »Hier, ich drücke, und die Farbe wird weißlich, das beweist uns ein weiteres Mal«, sagte er, »daß der Tod vor weniger als acht Stunden eingetreten ist, denn ...« Er wies mit dem Finger, der in dem dünnen Handschuh steckte, auf Zila, die gehorsam seiner Aufforderung nachkam: »Nach acht Stunden schließen sich die Blutgefäße, und die Flecke verändern sich nicht mehr.«
    »Sehr schön«, meinte er und widmete sich erneut dem Hals, den er durch die Lupe betrachtete. »Ich will hier nicht mit dem Maßband rangehen«, trällerte er. »An solch einem sauberen Schnitt – will man nichts verderben.« Er legte die Lupe aus der Hand, griff nach der Kamera, ging nah an den Schnitt heran, betätigte mehrmals den Auslöser und sagte: »Wir machen eine vortreffliche Nahaufnahme von der Gurgel.« Dann

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