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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Weg zum Migrash Harussim war, nachdem er die Babys der Kinderfrau für den Nachmittag überlassen hatte. Er stand in dem Moment an der Ampel im Mamilla-Viertel und starrte auf die Aufkleber »Das Volk mit dem Golan« und »Judäa und Samaria liegen hier« auf der Heckscheibe des Autos vor ihm. Der Fahrer wurde von einer in Lumpen gekleideten Frau, der Bettlerin, die die »Irre von Mamilla« genannt wurde – sie pflegte sich zwischen den Autokolonnen durchzuschlängeln, ihre schmutzige Hand durch die Schei ben zu stecken und mit ihrem schwarzen Mund zu fau chen –, beschimpft und kurbelte rasch das Fenster zu. Die Adresse, die die Telephonistin ihm im Namen Schorers ausrichtete, versetzte ihn in Panik. »Er hat versucht, Sie zu Hause zu erreichen«, hatte sie gesagt, und ihre Stimme – ein bekanntes Krächzen – verursachte ihm Gänsehaut, als ob jemand mit einem Stein über Glas fuhr.
    »Ich war unterwegs«, hatte er in das Funkgerät geantwortet, hauptsächlich um irgend etwas zu sagen, und fuhr auf den rechten Fahrstreifen. Die Kälte, die sich von innen seiner bemächtigte, die seinen Bauch füllte, als er die Adresse hörte, eine eisige Kälte, die selbst bei den Worten »eine männliche Leiche« nicht verschwand, nahm zu, je näher er dem Gebäude kam und an einer langen Autoschlange vorbeiraste, die bis in die Kreuzung, an der die Ampeln ausgeschaltet waren, stand.
    Er fror, seine Knie wurden weich, und seine Zähne klapperten. Wie sollte Schorer ihn finden, wo er seine Tage mit dem Warten auf Kinderfrauen verbrachte, warf er sich lautlos vor und erhöhte die Geschwindigkeit. Die Kinderfrau für den Nachmittag, die sie eigens für die Phase der Proben engagiert hatten, hatte sich um eine halbe Stunde verspätet. »Wegen dem Stau«, hatte sie aufgebracht gesagt und in allen Einzelheiten beschrieben, wie die Buslinien wegen des Besuchs des amerikanischen Staatssekretärs von ihren normalen Routen abgewichen waren. »Und vorgestern wegen der Beerdigung von Rabbi Freundlich«, hatte sie verächtlich ausgestoßen. »Dreihunderttausend schwarze Orthodoxe für einen, von dem noch nie einer ein Sterbenswörtchen gehört hat! In dieser Stadt kann man kein normales Leben führen – entweder es gibt einen Terroranschlag oder ein wichtiges Begräbnis oder einen Staatsbesuch mit Kolonnen von Limou sinen und Motorrädern, für die sie alles absperren. Auch wenn sie nur von der King-David- zur Balfour-Straße fahren, sperren sie die ganze Stadt. Was interessiert es sie? Sie kommen nicht zu spät.«
    Zwischen Schüttelfrostattacken hörte er sich selbst nach der Spurensicherung fragen, ob man die Sachverständigen schon informiert habe und ob sie unterwegs seien. Er vernahm seine nüchterne, ruhige Stimme, die bekannte Stimme, die sich in manchen Situationen automatisch und routiniert einstellte. Dennoch klang sie ihm fremd, als er fragte, ob man einen Gerichtsmediziner zum Tatort beor dert habe. Als er in der Nähe des Hintereingangs einparkte, benutzte er erneut das Funkgerät und bat darum, Zila zu schicken. Die junge Ärztin des Roten Davidsterns stand neben dem mageren Pathologen, dessen kariertes Hemd seine eingefallene Brust und seine hageren, behaarten, weißlichen Arme betonte. Er putzte ordentlich und gründlich die Glä ser seiner runden Brille und stellte ein paar kurze Fragen. Er summte ununterbrochen, machte Bemerkungen, erteilte Antworten, als studiere er einen langen Sprechgesang ein. Er wandte sich mit dieser singenden Stimme an die Ärztin, die kurz angebunden und mit ersichtlicher Nervosität antwortete. Als man sie gerufen hatte, »war schon alles zu spät«, sagte sie, und bei dieser Wortfolge kam zum ersten Mal ihr leichter russischer Akzent zum Tragen. »Die Leiche lag schon in dieser Position, in der sie jetzt zu sehen ist. Tot, zusammengekauert in einer Blutlache, zu Füßen des Betonpfeilers.« Sie hatte nicht zugelassen, daß jemand ihn berührte, versicherte sie, keiner außer ihr hatte den Toten angefaßt. Sie erzählte wieder, diesmal verzichtete sie auf den kritischen, vorwurfsvollen Tonfall, von Nitas hysterischem Anfall und erklärte, daß sie sie in das Büro von Herrn van Gelden gebracht hatten.
    »Welches van Gelden?« fragte Michael.
    »In das Büro des zweiten, der noch am Leben ist«, antwortete sie, ohne nachzudenken. Sie wurde verlegen und schüttelte sich.
    »Wo ist dieses Büro?« fragte Michael den ersten Geiger, der auf die Biegung des Flurs wies und darauf zuging. Er drehte

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