Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
hatte es vergessen. Ich habe noch welche zu Hause«, versicherte sie.
»Hatten Sie heute morgen die c- oder die g-Saite in Ihrem Kasten?« fragte Michael.
»Die g-Saite«, antwortete sie ohne zu begreifen. »Ich hätte eigentlich eine a-Saite mitnehmen sollen, denn sie ist mir schon in der letzten Probe gerissen. Aber ...«
Michael tastete die Ersatz-g-Saite ab, widmete sich dem Instrument und befühlte das aufgespannte a. Er reichte Solomon die Bratsche, der sie ebenfalls untersuchte und flüsternd murmelte: »Natürlich, keine Frage.« Als Solomon die Ersatzsaite aufrollte und seine Lippen zweifelnd verzog, sagte er: »Aber die Länge ... Es ist nicht sicher, man braucht beinahe einen Meter, um sie herumzuschlingen und an beiden Seiten festzuhalten.« Anschließend sprachen sie mit der Cellistin, die den Cellokasten zu Füßen des Sitzes aufklappte und daneben niederkniete. Sie nahm das Instrument vorsichtig heraus, zog die Noten und den Stofflappen, der darunter lag, ebenfalls heraus, und auch sie öffnete, ohne sich zu wundern, das Pergamentpapier, in dem ihre Ersatzsaiten verpackt waren. Michael bückte sich. Solomon setzte sich auf einen Stuhl in der Nähe und befühlte seine Knie.
Die Cellistin hatte drei Ersatzsaiten. Sie nickte und kaute an der Spitze ihres Zopfes, als sie bestätigte, daß sie von vornherein drei Saiten dabei hatte.
Sie baten die beiden Frauen, draußen zu warten. »Sie brauchen die Instrumente nicht mitzunehmen, wir rufen Sie gleich wieder rein«, sagte Zila und zog auch Awigdor in Richtung Ausgang. »Warten Sie auch dort, auf dem Sessel vor der Tür«, hörten sie sie liebevoll sagen.
»Der Durchmesser beträgt weniger als einen halben Millimeter«, sagte Schimschon, als er die d-Saite des Cellos prüfte.
»Mit ziemlicher Sicherheit weniger«, sagte Solomon. »Sie ist richtig dünn, mit ihr wäre es kein Problem, sie ist auch ... Moment, lassen Sie mich messen.« Er zog das Bandmaß aus seiner Hosentasche, legte die Saite ausgerollt zu seinen Füßen, zog das Band aus und verkündete: »Genau ein Meter.«
»Das bedeutet«, dachte Michael laut, »daß man mit den Saiten jedes Instruments die Tat begangen haben könnte?«
»Mit jeder der dünnen Saiten, mit Sicherheit«, summte Solomon. »Bei der Geige auch mit der dritten, das heißt auch mit der a-Saite. Und bei der Bratsche mit dem hohen a. Auch bei dem Cello mit dem hohen a. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Länge der Geigensaite in Frage kommt. Man weiß nie, was das Gelernte einem einmal nutzen kann. Plötzlich habe ich etwas davon, daß ich als Kind Geigenunterricht genommen habe. Es war die Hölle, aber meine Mutter bestand darauf.« Michael nickte und wollte etwas äußern, als die Holztüren aufgingen und zwei Männer und eine Frau hereinkamen. Jafa winkte sie heran. Nur den kleinen glatzköpfigen Mann kannte Michael richtig, aber er erkannte die Gruppe von der Spurensicherung.
»Da wären wir«, sagte der Glatzkopf zu Schimschon. »Ihr habt uns angefordert.«
»Fang du bei den Streichern an«, sagte Michael zu Zila, und den Leuten von der Spurensicherung, die hinter Schimschon standen, erläuterte er: »Wir suchen nach einer Saite und nicht nach einer Angelschnur, warum sollten wir auch auf der Hinterbühne eines Theater nach einer Angelschnur suchen, hier wird in der Regel nicht gefischt.«
»Was denken Sie sich?« sagte Schimschon grimmig. »Meinen Sie, daß es eine solche Logik gibt? Glauben Sie, an einem Fluß ist es automatisch eine Angelschnur und in einem Konzertsaal zwangsläufig eine Saite?«
Michael sagte mit einem Achselzucken: »Manchmal ist es so simpel. Er hat von einem dünnen Draht oder von einer dünnen Nylonschnur gesprochen. Hier haben wir einen sehr dünnen Draht.«
»Saiten reißen«, protestierte Schimschon.
»Ich weiß nicht«, mischte sich der Glatzkopf ein. »Früher haben sie sie aus Katzendärmen gemacht, heute sind sie aus Metall. Ich weiß nicht genau, aus welchem Metall, ich glaube aus Nickel, das um irgend etwas gewickelt wird. Wir werden es überprüfen.«
»Sie reißen nicht, sie platzen, es ist die Materialermüdung«, sagte Michael, der vor seinen Augen wieder das Bild im Wohnzimmer vor sich sah, als Nita die Saite gesprungen war. Er erinnerte sich an seine damalige Verwunderung über die Blitzartigkeit des Geräuschs des Reißens. An die gerissene Saite, die über dem Steg des Cellos hing und vibrierte, und an sein Staunen über die geübten geschickten Handgriffe, mit
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