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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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nicht viel verstanden«, fiel Ezra Baschari wieder ein, »aber wir wollten wenigstens, denn was, wenn es ein ganz anderes Kind gewesen wäre.«
    »Ich dachte, sogar ein Katze hätten sie dort hineinstecken können, also habe ich es aufgemacht«, sagte seine Frau mit erstickter Stimme und legte eine Hand auf ihre Brust, »ich habe nie darüber gesprochen, nicht einmal dem Rabbiner habe ich die ganzen Einzelheiten erzählt«, sie blickte Michael an, »es fällt mir schwer.«
    »Es ist eine harte Geschichte«, bestätigte Michael mit sanfter Stimme. Die Erschütterung lähmte sein Denken.
    »Sie sagten, nicht aufmachen, aber ich hab’s aufgemacht«, erzählte Ne’ima Baschari mit ausdrucksloser Stimme weiter. »Ich stand dort in diesem kleinen Zimmer und wickelte einen Lumpen nach dem anderen ab, ich musste es sehen, verstehen Sie? Ezra wartete draußen, sie ließen uns dort nicht zusammen allein.«
    »Und sie, die Schwester, sagte, ›lass sie allein mit ihrem Kummer‹«, bemerkte Ezra Baschari, »bis heute habe ich ihre Stimme in meinen Ohren, ›allein mit ihrem Kummer‹! Sie dort allein lassen ...«
    »Ich habe ihm nicht verziehen«, sagte Ne’ima Baschari, »ich habe ihm nie verziehen, dass er getan hat, was sie ihm sagten ...«
    Ezra Baschari breitete mit hilfloser Geste die Arme aus und barg dann sein Gesicht in den Händen.
    »Ich stand dort allein und wickelte einen Lumpen nach dem anderen ab«, fuhr seine Frau fort, und nach einem kurzen Schwei gen: »Und ich bin bis zum letzten Lumpen gelangt, bis dahin bin ich gekommen.«
    Michael wartete wieder.
    »Es war kein Baby da. Es waren nur Lumpen.«
    »Wirklich?!«, fragte Michael, nicht weil er irgendeinen Zweifel daran hegte, sondern weil die Geschichte einfach zu furchtbar war.
    »Ja, wirklich!«, rief Ne’ima Baschari, »aber sicher wirklich, was meinen Sie denn, dass ich so etwas erfinden könnte? Man hätte denken können, dass sie wenigstens irgendein anderes totes Kind hineinlegen würden, was dachten sie denn? Dass ich zurückgeblieben bin? Als ich dort stand mit diesen Lumpen in den Händen, sagte ich, gut, wenigstens lebt das Baby, wir müssen es nur finden.«
    »Als sie aus dem Zimmer kam«, mischte sich Ezra Baschari ein, »sagte sie am Anfang erst einmal gar nichts. Nachher sagte sie, ›sie sollen uns das Grab zeigen‹. Ich ging zu ihnen und verlangte, dass sie uns das Grab zeigten, damit wir hingehen und Kaddisch sagen könnten, irgendetwas, sogar unser Urvater Jakov, sagte ich zu ihnen, dem sie Josefs bunten Rock zeigten, wollte das Grab sehen. Sie sagten – unmöglich. Ne’ima sagte, warum ist das unmöglich, und sie sagten zu ihr, ›weil wir fünf Säuglinge in einem Gemeinschaftsgrab begraben haben‹. Das haben sie gesagt, als ob man ein Gemeinschaftsgrab nicht herzeigen könnte.«
    »Es war unmöglich, sie zu erwischen. Ich weiß sogar heute noch nicht, wer sie waren, es gab einen Lagerdirektor, und da war die Schwester, aber ihre Namen? Also wie sollten wir das Baby suchen? Wir waren in dem Einwandererlager eingesperrt, niemand verstand unser Hebräisch, und wir, was waren wir denn schon? Kinder. Und meine Eltern ... sie waren schon völlig gebrochen. Niemand konnte uns helfen.« Ne’ima Baschari verstummte wieder.
    Stille herrschte im Raum. Nur das Zwitschern der Amseln war zu hören, das gerade wegen seiner Schönheit und jubelnden Freude, die darin zum Ausdruck kam, verletzend klang, und vielleicht, um es zu übertönen, fuhr Ezra Baschari hastig fort: »Danach übersiedelten sie uns in ein Durchgangslager in Jerusalem, in Talpiot, wo wir wahrscheinlich die einzigen Jemeniten waren, alle anderen gingen nach Rosch Ha’ajin, aber wir – ausgerechnet nach Talpiot. Und nachher in dieses Haus, das sie uns gaben, weil es verlassen war. Neunundvierzig, am Jahresende. Brachten uns plötzlich hierher und gaben uns ein Haus, später dachte ich, dass sie das gemacht hatten, um uns zum Schweigen zu bringen, damit wir nicht weiter mit Klagen ankämen.«
    »All die Jahre haben wir mit niemandem darüber geredet«, sagte Ne’ima Baschari, »erst Jahre später haben wir angefangen. Zuerst habe ich es meinem Bruder gesagt, und er hat mit dem Rabbiner in Bnei Brak geredet, und danach habe ich begonnen, zu Zusammenkünften nach Rosch Ha’ajin zu fahren, wo sich alle die treffen, denen man die Kinder weggenommen hat, einmal in zwei Wochen, manchmal einmal im Monat, und reden und reden. Und Zohra – sie hat es gespürt. Sie hat gemerkt, dass

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