Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
gehört, dass der Herr gesagt hat, er möchte uns allein sprechen, und auch deine Mutter?«
Bezalel Baschari zuckte zusammen und ließ die Arme fallen. Er wandte sich seinem Vater zu und öffnete bereits den Mund, doch Natanael blickte ihn an und berührte ihn über den Kopf des Vaters hinweg an der Schulter. »Lass gut sein, Bezalel«, sagte er unbehaglich, »lass das jetzt, nachher werden wir es verstehen, es eilt doch nicht. Hauptsache, es hilft, den zu finden, der ... ich weiß zwar nicht, wie das helfen kann, aber ...« Er erhob sich, gab seinem Bruder einen Wink und wartete an der Tür, bis Bezalel den Kaffeetisch ein wenig weggerückt hatte und aufgestanden war, seinen kleinen Körper spannte und die Brust herausstreckte. »Welcher Abstammung sind Sie?«, fragte er Michael, während er auf die Tür zuging, »Sie sind kein Jemenite?«
»Nein«, erwiderte Michael und verschluckte gerade noch das »leider nicht«, das sich ironisch hätte anhören können. »Kein Jemenite, ich bin mit drei Jahren aus Marokko ins Land gekommen«, beeilte er sich zu erklären, als ob er damit seine Existenz rechtfertigen könnte.
»Na gut, wenn Sie wenigstens kein Aschkenasi sind, dann können Sie zumindest so ungefähr, im Prinzip, verstehen, wovon hier die Rede ist«, murmelte Bezalel Baschari und marschierte durch die Tür, die sein Bruder ihm aufhielt. »Wenigstens haben sie keinen überheblichen Aschkenasi geschickt«, hörte ihn Michael, bevor sich die Tür ganz schloss, noch sagen und auch Natanaels beherrschtes Gemurmel: »Hör jetzt auf damit, Bezalel, tu mir den Gefallen, du redest genau wie ...« Das Ende des Satzes jedoch entging ihm.
Mit knappen Sätzen und sehr ruhiger Stimme erzählte Michael den Eheleuten die Fakten, die er von Orli Schoschan erfahren hatte, und erklärte die Notwendigkeit, die ganze Thematik, die Zohra vor ihrem Tod so beschäftigt hatte, restlos aufzuklären. »Und besonders etwas so Belastendes wie das«, schloss er und entschuldigte sich noch, dass er gezwungen war, ihnen noch mehr Kummer zu bereiten, indem er von ihnen verlangte, eine alte Wunde zu öffnen.
Ne’ima Baschari stieß einen tiefen Seufzer aus und verzog die Lippen. »Was heißt hier alt«, sagte sie mit rauer Stimme, »für den, der ein Kind verliert, ist es unwichtig, wie viele Jahre vergangen sind, das ist keine Wunde, die heilt, das bleibt lebendig und gegenwärtig.«
»Aber so wie ich verstanden habe, reden Sie nicht ... waren Sie nicht bereit, darüber mit Ihren Kindern zu reden«, erwähnte Michael, »und als Zohra etwas wissen wollte, wurden Sie wü tend auf sie.«
»Das hat nichts damit zu tun«, winkte die Mutter ab, »das ist, weil ich nicht wollte, dass sie unseren Schmerz teilen, ich wollte, dass sie frei aufwachsen, ohne Hass. Ich kann nicht begreifen«, seufzte sie, »warum Zohra mit all diesen Dingen anfangen musste, die überhaupt nicht ihre Sache waren. Ihr Leben hätte so ... so viel besser sein können als unseres ... wenn sie nur nicht ...«, sie brach unvermittelt in Tränen aus und murmelte schluchzend etwas Undeutliches von Fügungen und Schicksalsschlägen und von Hiob und rief: »Warum? Warum musste sie sich nur damit beschäftigen?«
»Vielleicht weil es Kinder gibt, die keine Geheimnisse in der Familie ertragen können, ohne sie enträtseln zu wollen«, sagte Michael geduldig, »vielleicht gerade weil sie keinen Zugang zu dem Kapitel hatte, weil sie Ihnen vielleicht näher kommen wollte.«
Ne’ima Baschari hörte zu weinen auf und sah ihn an. »Nein«, stellte sie fest, »vielleicht wegen ihrer Schwangerschaft, vielleicht war das ... der Gedanke an ...«
»Ich glaube es immer noch nicht«, murmelte Ezra Baschari, »und ich verstehe nicht, wie eine Geschichte von vor fünfzig Jah ren, unsere private Angelegenheit, wie sie zusammenhängt ... auch dieses kleine Mädchen aus dem Haus gegenüber, das verschwunden ist, glauben Sie denn, das hat etwas miteinander zu tun?«
Michael breitete seine offenen Hände aus und sagte, man könne noch nicht wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen Zohras Tod und Nesjas Verschwinden gäbe, doch je mehr er über das Leben der Opfer wüsste ...
»Nun gut, er hat erklärt, warum«, sagte Ne’ima Baschari zu ihrem Mann, »ich werde es Ihnen erzählen. Sie wollen es hören? Dann erzähle ich es Ihnen. Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen, von der Sie nie ... nie glauben würden, dass es solche Dinge hier gegeben hat.«
Michael verschränkte seine Hände
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