Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
begreifen, dass das Mädchen Bettnässerin war und kein einfaches Leben hatte – und auf das zerdrückte Kissen in der Ecke des Bettes. Der Inhalt des Schrankes lag zu seinen Füßen verstreut, und eine Schultasche, ausgeleert, zwischen Kleiderhaufen und Büchern, Heften und Schreibzeug aus einem Federmäppchen. »Das weiß ich nicht, was das ist«, sagte Esther Chajun verlegen, während sie sich mühsam bückte und einen violetten Büs tenhalter mit Blumendekor aufhob, »das hat sie sicher von jemandem für Purim mitgenommen, sie hat noch keine ... sie braucht noch keinen ...«, murmelte sie und stieg über die Sachen, bis sie ganz dicht neben ihm stand. Sie packte mit beiden Hän den seinen Jackenkragen, und dann umklammerte sie mit ihren verunstalteten Fingern seine Arme. »Sie sind ein guter Junge«, flüsterte sie und näherte ihm ihre Stirn, »ich weiß es, nicht wie ... nicht wie die Polizisten, die meinem Sohn Ärger machen, und deswegen kommt er jetzt nicht heim, nicht wie ... Ihr Freund dort« – ihr Kopf wies Richtung Vorderhof –, »er ist Kurde dem Namen nach, und Kurden glaub ich nichts, aber Sie, Sie haben ein gutes Gesicht. Sie werden mir mein Mädchen zurückbringen.«
Michael löste sanft die rissigen Handflächen und hielt sie einen Augenblick fest.
»Wo ich sie nicht mal suchen kann mit meinen Beinen«, sagte Nesjas Mutter in bitterem Ton und ließ verzweifelt ihre Arme fal len, »wegen meinen Krampfadern.«
»Bei einer Arbeit wie der Ihren ist das das Schlimmste, die Beine«, sagte Michael und führte sie aus dem Zimmer des Mädchens in das kleine Wohnzimmer. Sie schlug die Laken von dem Sofa zurück, die als Schutz dienten, und bedeutete ihm, sich zu setzen. »Das ist wegen der Hündin«, sagte sie und nestelte am Saum des Lakens, »die lässt ihre Haare überall, und wo ist die ses Hundsvieh jetzt? Wieso passt sie nicht auf sie auf? Ich hab’s gleich gewusst, dass sie nichts taugt.«
Michael fragte, wie lange sie die Hündin schon hätten.
»Drei Jahre, fast«, erwiderte Esther Chajun nach kurzem Nach denken, »damals war sie noch so«, fügte sie hinzu und hielt ihre Handflächen in geringem Abstand auseinander.
»Es ist schwierig, in einer so kleinen Wohnung eine Hündin zu halten«, sagte Michael, nur um das Gespräch in Fluss zu halten.
»Diese Hündin«, sagte Esther Chajun und verzog angewidert ihre dünnen, rissigen Lippen, »wenn sie nicht von Frau Rosenstein gewesen wär, hätt ich sie im Leben nie genommen.«
»Frau Rosenstein hat sie Ihnen gegeben?« Wieder einmal staunte er darüber, wie müßiges Gerede, nur dazu gedacht, die Schweigepausen zu überbrücken, plötzlich einen Zugang eröffnete.
»Sie ist eine gute Frau, die Arme«, sagte Esther Chajun in einem Ton, in dem man von einem hilflosen Kind spricht, »ihre Hündin, die hatte Junge, so zehn vielleicht, drei sind gestorben und eins hat sie Nesja gegeben. Eine gute Frau, Frau Rosenstein, aber nicht ... nicht sehr praktisch ... sie hat nicht daran ge dacht ... was sollen wir denn mit einem Hund in so einer kleinen Wohnung? Und passt noch nicht mal auf. Gestern ist sie mit ihr bloß um den Block gegangen, und zurückgekommen ist sie nicht. Ich hab vielleicht eine Stunde gewartet, aber sie ist nicht zurückgekommen und nach zwei Stunden auch nicht. Ich hab noch gewartet, was hätte ich denn tun sollen? Es gab auch was im Fernsehen, und ich bin eingeschlafen. Erst um eins in der Nacht, wie ich gesehen hab, dass sie immer noch nicht gekomm en ist, hab ich meinen Sohn angerufen, er wohnt hier weiter unten in der Straße, aber da war bloß der Anrufbeantworter. Also hab ich ihm eine Nachricht hinterlassen, was hätt ich denn tun sollen, hab gesagt, ›Jigal, ich weiß nicht, was mit dem Mäd chen passiert ist, ich mach mir Sorgen, weil sie noch nicht zu rück ist‹. Ich wollte nicht zu seinem Haus gehen, ich hatte Angst, dass wenn ich aus dem Haus geh und Nesja zurückkommt ... also hab ich gewartet, was kann ich schon machen? Nach zwei Stunden vielleicht hat er die Nachricht abgehört. Um drei in der Früh ist er zu mir gekommen mit Peter, Sie wissen, wer Peter ist? Er ist Professor, weiß alles, dann haben wir ein bisschen in der Umgebung gesucht, sie gerufen, wo wir nicht überall gerufen haben, obwohl es in der Nacht war, und am Schluss sind wir zur Polizei, wie es hell geworden ist, sind wir zur Polizei. Ich war nicht damit einverstanden, dass sie einen Hund kriegt, aber ich hab gedacht, ein Mädchen mit einem
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