Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Hund, was können sie dem schon tun, bloß dass das eine Spielzeughündin ist, macht bloß Lärm. Wie hat sie das zulassen können, wie? Sagen Sie mir«, sie packte ihn plötzlich am Arm, »Sie sind ein guter Junge, sagen Sie mir, lebt sie noch, mein Mädchen?«
Langsam und bestimmt sagte er zu ihr: »Ich glaube, dass sie lebt«, und streichelte die Hand, die seinen Arm umklammert hielt.
»Wie die ägyptischen Plagen in unserer Straße ... gestern Zohra, und heut meine Nesja ... Zohra ist auch eine Nachzüg lerin nach drei Brüdern ... dass ihr bloß nicht das Gleiche ... dass es bloß nicht so ist wie bei der seligen Zohra, bloß das nicht ...«
»Wir sind nicht sicher, ob es einen Zusammenhang zwischen den Fällen gibt«, wählte Michael vorsichtig eine Formulierung, die er vertreten konnte.
»Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich denken soll ...«, sagte Esther Chajun mit rauem Flüstern, »mit diesen ganzen Arabern, die sich im Viertel herumtreiben, ich habe zu Jigal gesagt ... er hat einen arabischen Arbeiter, ein guter Junge, aber ein Araber, ich hab ihm schon lang gesagt ...«
»Nesja hat nicht viele Freunde?«, fragte Michael.
»Nein«, seufzte Esther Chajun und betastete ihre geschwollenen Knie, »meine Söhne, wie sie klein waren, haben die ganze Zeit ... die Wohnung war ständig ... Freunde, aus dem Viertel, aus der Schule, aber sie – sie bringt nie jemanden mit heim. Nesja ist ...«
»Schüchtern?«, schlug Michael nach einigen Sekunden vor.
»Schüchtern«, pflichtete ihm Esther Chajun erleichtert bei, und nach einem kleinen Augenblick blickte sie ihn aus zusammengekniffenen Augen an und seufzte wieder: »Und auch ... was soll ich Ihnen sagen, sie ist nicht ... sie ist viel allein ... ich a rbeite jeden Tag, es gibt Tage, wo ich ... ein Mädchen braucht seine Mutter daheim, mit einem warmen Essen und dem Ganzen, aber ich, ich arbeite jeden Tag ...«
»Sie hängt sicher sehr an der Hündin?«, sagte Michael, der nach einem Weg suchte, um wieder auf die Rosensteins zurückzukommen, in fragendem Ton.
»Sie isst von ihrem Teller und schläft mit ihr im Bett«, erwiderte Esther Chajun, wobei sie angeekelt ihr Gesicht verzog.
»Aber Nesja liebt sie, und für ein einsames kleines Mädchen, so wie Sie sie geschildert haben, ist es wichtig, dass ... liebt sie auch Frau Rosenstein?«
»Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der Frau Rosenstein nicht liebt«, stellte Esther Chajun kategorisch fest. »Frau Rosenstein ist der beste Mensch ... was soll ich Ihnen sagen ... sie gibt ihre Seele her für ... für jeden, der ... wie viel sie mir schon geholfen hat!«
»Ist die ganze Familie dort so? Auch der Mann?«
»Mit dem Mann komme ich nicht so zum Reden, er ist den ganzen Tag in der Arbeit«, antwortete Esther Chajun.
»Und ihre Tochter? Sie kennen sie bestimmt auch?«
»Tali. Die ist auch nett, sehr sehr nett.«
»Aber sie lebt nicht hier«, sagte Michael leicht fragend, als wüsste er es nicht genau.
»Natürlich nicht hier, sie wohnt in Amerika, sie hat ein Haus – ein Schloss. Ich hab’s auf Bildern gesehen«, sagte Esther Chajun mit unverhohlenem Stolz, »seit sie geheiratet hat ... ihr Mann hat ein großes Unternehmen ... schon seit über zwanzig Jahren ... kein Jahr vergeht, in dem sie nicht kommt, zu Feiertagen und im Sommer, und sie fahren auch dorthin, immer an Pessach und zu Weihnachten. Nur dieses Jahr ist sie nicht gekommen, sie waren nicht damit einverstanden.«
»Wer war nicht einverstanden?«
»Die Eltern, sie hatten Angst wegen den Anschlägen, und noch dazu mit den Enkeln ...«
»Sie ist die einzige Tochter?«, fragte er vorsichtig.
Esther Chajun nickte seufzend. »Frau Rosenstein konnte keine mehr kriegen«, flüsterte sie dann, als verriete sie ein Geheimnis. »Auch die eine bloß mit Mühe, unberufen. Und dabei liebt sie Kinder so, die Frau Rosenstein! So ist das«, wieder seufzte sie, »jeder hat seine eigenen Sorgen.«
»Aber als Baby haben Sie sie nicht gekannt?«, sagte Michael beiläufig, wobei er sich für einen Moment fragte, ob er damit nicht an den Punkt gelangt war, wo sich die Tür sicher vor ihm schließen würde.
»Wie soll ich sie denn als Baby gekannt haben«, schüttelte Esther Chajun den Kopf, »sie ist doch schon über fünfzig.«
»Sie ist in Haifa geboren?«, fragte er im Plauderton.
»Nein, sie waren damals in Tel Aviv, als sie geboren wurde«, antwortete Esther Chajun, »ich hab ihr Bild gesehen, als Baby. Frau Rosenstein, wenn sie Sehnsucht
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