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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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waren. Der wandernde Lichtkegel beleuchtete ein Gewirr von Spinnennet zen, Moderflecken, blätternden Verputz, vergilbte Zeitungsfetzen, Lumpen, einen großen verrosteten Blechkanister und einen mumifizierten Katzenkadaver. Ohne weitere Rücksicht stieß Esther Chajun Wachtmeister Ja’ir beiseite und beugte sich über den Körper, der dort auf dem Rücken ausgestreckt lag. Sie ignorierte auch ihren Sohn, der neben ihr stand und sagte: »Sie ist nur bewusstlos, Mama, aber sie lebt, sie kommt wieder in Ordnung.« Michael sah ihr zu, wie sie ihren Kopf auf die Brust des Mädchens legte, das mit gespreizten Beinen und am Körper anliegen den Armen, zur Seite gesunkenem Kopf und geschlossenen Augen dalag. Mit überraschendem Zartgefühl strich die Mutter ganz leicht mit ihren rissigen Fingern über die geschwollene Wange ihrer Tochter, als zeichnete sie die Maserung der Sommersprossen auf dem Hintergrund der fahlgrauen Haut nach. Schmutzige Bahnen zogen sich von Nesjas geschlossenen Augen zu ihrem Mund hinunter, Furchen verkrusteter Tränen, die andeutungsweise erkennen ließen, was sie durchgemacht hatte. Mit sanft kreisenden Bewegungen befühlte Esther Chajun die Hände und Füße ihrer Tochter und streichelte sie, und Michael staunte beim Anblick einer solchen Zartheit, von deren Existenz er nichts geahnt hatte. Hinter ihm zog Ja’ir Jigal Chajun zurück und sagte in amtlichem Ton zu Peter, der zu seiner Linken stand: »Sie auch bitte, nichts berühren, überlassen Sie das der Spurensicherung. Sie sind noch nicht fertig mit der Untersuchung hier, und es darf grundsätzlich nichts angefasst werden.« Als er sich umdrehte, sah er noch, wie Peter seine Hand aus dem Seilknäuel zog, das in eine Ecke des Raumes, zwischen Spinnweben und eingetrocknetem Kot, hingeworfen lag.
    Ganz langsam betastete Esther Chajun die geschwollenen Handgelenke des Mädchens, beugte sich danach über sie und legte ihre Lippen auf die roten Striemen, die die Stricke dort eingeschnitten hatten. Auf Knien untersuchte sie auch die Spuren der Fesseln an den Knöcheln, befühlte die Kratzer und berührte behutsam einen tiefen Schnitt vorn am rechten Knöchel, von dem sich ein verkrusteter Blutfaden herabzog. Und dann rief sie leise, als fürchtete sie, sie aufzuwecken: »Nesja, Schätzchen, Nesja, mein Herz, ich bin’s, Mama, Mama redet mit dir.« Das Mädchen reagierte nicht, und vom Eingang her rief Jigal Chajun: »Sie kann dich nicht hören, Mama, sie ist nicht bei Bewusstsein.« Er eilte zurück und kniete sich neben sie. Doch ihre Rufe hatten sich bereits in Schreie verwandelt: »Nesja Nesja Nesja«, und rissen nicht eher ab, bis sich ihre Augen auf dem großen feuchten Fleck vorn auf der blauen Trainingshose verfingen. Sie zog sie ihr mit einem einzigen schnellen Ruck aus, senkte den Kopf und betastete den entblößten Schritt. Michael hörte ihren Seufzer, als sie ihre Hand anstarrte und wie zu sich selbst sagte, »kein Blut«. Als ob sie überhaupt nicht vorhanden wären, streifte sie ihr dann auch die Unterhosen ab, spreizte dem Mädchen die Beine und spähte eingehend zwischen ihre Oberschenkel. Erst nach einer geraumen Weile erhob sie sich mit deutlicher Willensanstrengung, gestützt von ihrem Sohn, stand noch ein wenig schwankend auf den Beinen, bevor sie sich stabilisierte, und sagte dann mit Verwunderung, in die sich Erleichterung mischte: »Das hat er ihr nicht angetan, wie bei Zohra.«
    Fast entschuldigend näherte sich nun der Mann von der Spurensicherung dem Mädchen und blickte besorgt auf Esther Chajun, die leicht zurückwich. Er ging auf die Knie, betastete vorsichtig den Schädel und verharrte bei einer großen Beule auf der Stirn, untersuchte den geschwollenen Hals und betrachtete die tief eingeschnittenen Striemen, zog die dickliche, geschwollene Hand näher zu sich her und schürfte mit einem spitzen Instrument unter den abgebissenen Fingernägeln. Dann holte er aus seiner schwarzen Ledertasche ein viereckiges Glasplättchen, an dem er die Spitze des Instruments behutsam abstrich. »Ist der Arzt unterwegs?«, flüsterte er dann, »ich brauche ihn hier, damit er eine Gewebeprobe entnimmt«, erklärte er an Ja’ir gewandt und deutete auf einen Schnitt am Hals. Er winkte seinen Kollegen von der Spurensicherung zu sich, der näher trat und zu fotografieren begann. Michael beschattete seine Augen und verfolgte, wie Esther Chajun bei jedem Aufblitzen die Augen schloss.
    »Er ist schon da, der Doktor«, sagte Ja’ir, »der

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