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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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dachte, dass man sie zuerst er würgt und ihr danach das Gesicht zertrümmert hat, hier, sehen Sie sich die Zunge an« – er hielt die herausbaumelnde Spitze fest –, »sehen Sie, wie lose sie ist? Es ist bereits klar, dass es Tod durch Erwürgen war. Zange«, sagte er ungeduldig, worauf ihm der Assistent hastig eine reichte. Solomon hob die Zunge hoch und deutete mit der Zangenspitze. »Gebrochen, sehen Sie?«, fragte er und beutelte die Zunge, »sie hängt völlig frei.«
    Michael nickte.
    »Und ohne jetzt nachzuschauen, bin ich mir sicher, dass ein Genickbruch vorliegt, aber wir werden es gleich sehen. Wissen Sie, wie ein gebrochenes Genick aussieht?«
    Obwohl er seine Frage an niemand Bestimmten adressiert hatte, erwiderte ihm Ja’ir zögernd: »Ich glaube, wenn die oberen Wirbel, die dem Schädel am nächsten sind, verletzt sind, dann ...«
    »Das heißt das Stammhirn«, mischte sich der Assistent ein, »das unterste Gehirn ist verantwortlich für die Atmung und das Herz-Kreislauf-System. Wenn es verletzt wird – dann stirbt man.«
    Ja’ir nickte mit gelehrigem Ausdruck, und Solomon führte das Skalpell vom Kinn bis zum Brustknochen, und während er den Schnitt vertiefte, sagte er zu der Leiche hin: »Holen Sie mir aus der Kitteltasche einen neuen Kaugummi.« Worauf sein Assistent eilfertig seine Handschuhe abstreifte und aus der Kitteltasche des Pathologen ein grünliches Päckchen zog.
    »Möchte jemand?«, fragte Dr. Solomon.
    Er erhielt keine Antwort.
    »Nachher, wenn wir zum Bauch kommen, werden Sie’s bereuen«, warnte Solomon. Er klappte die Haut am Hals auf und deutete mit triumphierendem Blick auf die oberen Wirbel. »Sehen Sie? Gebrochen, wie ich es gesagt habe, und schauen Sie sich auch die Luftröhre an. Zerquetscht. Sehen Sie?« Ohne eine Antwort abzuwarten befahl er: »Zange«, und sein Assistent reichte ihm unverzüglich die große Ausgabe. Im Nu entwand Dr. Solomon dem Halsraum einen dunklen Klumpen und murmelte: »Wir werden die Speiseröhre öffnen, machen Sie sie auf, aber vorsichtig, dort ist eine Schere.« Er wies mit seiner Schulter auf das Tablett. »Nimm die große, aber vorher wiegen. Was würden wir ohne diese russischen Einwanderer bloß anfangen? Verloren wären wir«, stellte er fest und richtete seinen Blick auf den Assistenten. »Begreifen Sie eigentlich, dass wir hier nur vier israelische Ärzte haben, eine Frau auch noch darunter, und der ganze Rest, das gesamte Hilfspersonal und die Praktikanten, Russen oder Araber sind?«
    Michael schwieg.
    Der Assistent wog den Klumpen, den Dr. Solomon aus dem Hals gelöst hatte, und nannte ihm sein Gewicht, und der Pathologe diktierte die Daten in sein Mikrofon. Michael verfolgte die Bewegungen der Schere, die die Speiseröhre aufschnitt, und die Hände des Assistenten, die sie behutsam ausbreiteten und auf dem Nirostatablett flach strichen. »Alles in Ordnung«, sagte Dr. Solomon, der sich ebenfalls über die zeltbahnartig ausgebreitete Haut beugte und nun wieder summte. »Keine Klumpen, keine Mängel«, erklärte er an Michael gewandt, als sei dieser noch nie dabei gewesen, und Ja’ir räusperte sich im Hintergrund.
    Jetzt betastete der Pathologe den Brustknochen. Michael, der auf den Metalltisch sah, übte sich wieder schweigend darin, diesen Anblick von dem unversehrten Körper und dem Leben, das er enthalten hatte, loszulösen. Hätte sich Dr. Solomon, der seinen knochigen Körper über die Leiche gebeugt hielt, wobei sein kleines Glatzenrund am Hinterkopf glänzte, umgedreht, hätte er zu seiner Befriedigung entdecken können, wie blass Wachtmeister Ja’ir geworden war. Aber Dr. Solomon drehte sich nicht um, um das Befinden des »Jungen« in Augenschein zu nehmen – so hatte er Ja’ir am Telefon bezeichnet, als er vorschlug, man solle ihm doch nicht »irgendeinen unbedarften Jungen daherbringen, der gleich in Ohnmacht fällt«. Ja’ir schwankte einen Moment und riss sich dann wieder zusammen, während der Pathologe mit dem Skalpell einen feinen Schnitt vom Brustknochen bis zum Unterbauch vorzeichnete. Danach nahm er einen parallelen Schnitt vor und vertiefte einen nach dem anderen. »Zuerst durchtrenne ich die Knorpelmasse«, erklärte er wieder in den Raum hinein, »haben Sie schon Flüssigkeit für eine Probe aus dem Schädel ent nommen?« Der Assistent nickte aufgeschreckt, und seine hellen Augen irrten von der Leiche zu Solomons Gesicht. Er eilte zum Instrumententablett, tauchte die Kelle, die er von dort nahm, in den

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