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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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sich, seiner Frage einen sachlich neugierigen Ton zu verleihen und das anschwellende Pochen in seinen Schläfen zu verbergen.
    Efraim Benesch schüttelte einige Male den Kopf, neigte sein Gesicht und flüsterte mit gebrochener Stimme: »Das ist es ja, des wegen wollte ich ... o Gott ... in Jorams Zimmer, bei ihm im Zimmer, in der Sockenschublade.«
    »Gehört es ihm, dieses Notizbuch?«, fragte Michael und befürchtete sofort, dass sein blauäugiger Ton zu künstlich ausgefallen war und Benesch verstummen ließe.
    »Wollte Gott«, erwiderte Efraim Benesch, »wollte Gott, dass es ihm gehörte, der Herr stehe uns bei, es gehört dem Mädchen.«
    »Dem Mädchen?«, hakte Michael beharrlich nach, »welchem Mädchen?«
    »Dem Mädchen, diesem Mädchen, das ... Nesja, das ist ihr Notizbuch, sehen Sie nicht, dass das die Schrift eines kleines Mäd chens ist? Dass hier steht ...« Er blätterte hastig bis zur letzten Seite, »da, ›Peter hat eine Goldkugel zum Schmücken der Laubhütte mitgebracht‹ ...«
    »Und das war in Jorams Zimmer?«, fragte Michael behutsam mit beherrschter Stimme, um Efraim Benesch nicht zu verschrecken, der genauso plötzlich, wie er aus eigenem Antrieb aufgetaucht war, wieder stumm werden und verschwinden konnte.
    »In der Sockenschublade, das ist die Wahrheit«, antwortete Ef raim Benesch, legte seine Hände wieder auf die Knie und unterzog sie einer eingehenden Musterung.
    Anstatt nun weiter wie auf rohen Eiern zu gehen und auf seine Befürchtungen zu hören, schob Michael das braune Notizbuch an den Rand des Tisches, legte eine Hand auf Efraim Beneschs Arm und sagte schlicht: »Sie haben sein Zimmer durchsucht.«
    »Ich ... ich habe bei ihm gesucht, bevor ... o Gott, großer Gott im Himmel«, ächzte Efraim Benesch.
    »Vor unserer Durchsuchung?«, ergänzte Michael und erhielt ein schwaches Kopfnicken, »Sie haben sein Zimmer durchsucht, bevor unsere Leute es durchsucht haben?«, wiederholte Michael die Frage noch einmal.
    »Ich  ... ich weiß nicht warum«, sagte Efraim Benesch und hob sein großflächiges, rundes Gesicht, das nun einen gelblichen Ton angenommen hatte, »ich wusste, dass er lügt, und ich dachte ... aber er war nicht ... er ... ich habe gewusst, dass er in der Nacht das Haus verlassen hat. Ich dachte damals, es sei ...«
    »Was dachten Sie?«, fragte Michael und goss Wasser in den rosa Pappbecher – wie sonderbar dieses knallige Rosa mit einem Mal erschien – und reichte ihn Efraim Benesch, der sich nicht rührte. »Trinken Sie, trinken Sie«, drängte ihn Michael und sah, wie er den Kopf langsam wieder hob, ihn von einer Seite auf die andere schwenkte, eine unsichere Hand nach dem Becher ausstreckte und ihn danach an die bebenden Lippen führte. In der Stille des Zimmers waren seine Schluckgeräusche zu hören, danach das Grollen nahenden Donners.
    Efraim Benesch wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Allmächtiger«, sagte er, »seine Mutter weiß nicht, dass ich etwas gefunden habe, ich habe ihr nichts gesagt. Sie würde sterben, wenn sie ... ich sterbe selber.«
    Hastig, um den Moment nicht verstreichen zu lassen, brachte Michael das Gespräch wieder auf den Punkt von vorhin zurück: »Sie dachten, er sei zum Vergnügen ausgegangen in jener Nacht, als das Mädchen verschwand?«
    »Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte«, erklärte Efraim Benesch, »manchmal will man nicht denken, man will nicht sehen, was man sieht.«
    »Aber Sie haben sein Zimmer durchsucht«, erinnerte ihn Michael sanft, »ohne dass jemand davon wusste, Sie wollten es trotz allem wissen.«
    »Ich hatte keine Wahl«, flüsterte Efraim Benesch und blickte ihn mit flehentlicher Hoffnung an, »ich hatte keine andere Wahl, manchmal hat man einfach keine Wahl, und Sie müssen die Wahrheit erfahren.«
    »Ja«, sagte Michael, »manchmal hat man tatsächlich keine Wahl.«
    »Besonders«, fuhr Efraim Benesch fort, »ganz besonders, wenn man weiß, dass man ein Kind großgezogen hat ... dass das eigene Kind ... der einzige Sohn, den man liebt, von dem man dachte, dass er ... alles ... wenn man entdeckt, dass er ... innen verfault, verdorben ist.« Die letzten Worte standen im Raum, und Efraim Benesch straffte sich auf seinem Stuhl. »Verdorben«, wiederholte er, »durch und durch verfault. Nur Gott weiß, warum. Wie ein äußerlich schöner, roter Apfel. Außen – rund und glänzend rot, und innen – wurmstichig. Alles faul. Im Kern ... krank. Sehr krank.«
    In diesem Augenblick ertönte

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