Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Eine Art stillschweigender Trotz veranlasste ihn, sich neben Efraim Benesch zu setzen, mit all der Pein und Unbehaglichkeit, die sich auf dem Gesicht des Mannes abzeichneten, der immer wieder seine Anzugärmel abklopfte, als wollte er sie von unsichtbarem Staub befreien. So saßen sie Seite an Seite, das Fenster im Rücken, vor dem Tisch wie zwei Volksschüler. »Man hat mir gesagt, Sie bitten um vertrauliche Behandlung«, erklärte Michael und rückte seinen Stuhl zu Benesch hin.
»Vertraulich, ja«, murmelte Efraim Benesch und fuhr sich mit seinen großen Fingern durch das graue Haar, dessen Gelbstich durch das Licht der Schreibtischlampe stärker hervortrat, wohl ein Andenken an seine frühere Rothaarigkeit. Mit krummem Rücken legte er seine weißen Hände auf die Knie, und Michael betrachtete den großen braunen Fleck auf seiner Rechten und die bis zum Ringfinger mit dem glänzenden Ehering versprengten Sommersprossen. Etwas an dieser Hand mit ihrer sommersprossigen, faltigen Haut und den dazwischen eingestreuten kleinen Altersflecken, und auch, wie der goldene Ring ins ringsherum ge schwollene Fleisch einschnitt, rührte an sein Herz.
»Ist etwas passiert?«, fragte Michael und wunderte sich selbst über den duldsam mitfühlenden Ton, der in seiner Frage anklang.
Efraim Benesch wischte sich über sein rundes Gesicht, das im Licht der Tischlampe glänzte. Dann wandte er den Kopf in Rich tung Fenster und spitzte die Ohren, richtete sich auf seinem Stuhl auf und fragte: »Was war das? Haben Sie das gehört? Donner oder Schüsse?«
»Ich glaube, es donnert, sie haben gesagt, dass es heute regnen würde«, beruhigte ihn Michael, »sehen Sie, jetzt hat es auch geblitzt.«
»Nein, gestern Nacht waren die ganze Zeit ... bei uns hört man alles, was in Gilo passiert«, sagte Efraim Benesch und starrte seine Hände an, »aber das ist nur in der Nacht.«
Michael schwieg.
»Es sind keine guten Zeiten«, fügte Efraim Benesch nach einer Weile hinzu und räusperte sich, »keine Ruhe. Schwere Zeiten sind das ...« Er verstummte und blickte wieder in Richtung des geschlossenen Fensters, berührte seinen Adamsapfel, umfasste mit den Fingern seinen breiten Hals und nestelte schließlich am Knoten seiner blauen Krawatte.
»Herr Benesch«, seufzte Michael nach längerem Schweigen, »Sie sind zu mir gekommen, weil Sie mir etwas sagen wollten.«
»Ja, ja«, murmelte Efraim Benesch bedrückt, »aber es ist schwer, es fällt mir schwer.«
»Es fällt Ihnen schwer zu reden?«, fragte Michael.
»Nicht das Reden«, erklärte Efraim Benesch, »reden ist nicht schwer, aber was, das ist schwer, das ist so schwierig.« Er klopfte sich leicht auf die Knie, bevor er mit beiden Händen seitlich nach den Stuhlkanten griff.
»Es ist wegen Joram?«, vermutete Michael.
Efraim Benesch nickte. Im Licht der Lampe gewahrte Michael sein nervöses Augenzwinkern, als er sich halb vom Stuhl erhob und aus seiner hinteren Hosentasche ein Päckchen Papiertaschentücher herauszog. »Meine Frau, sie hat sie mir eingesteckt«, entschuldigte er sich und schnäuzte sich laut.
Michael verschränkte die Hände auf der Brust. »Haben Sie etwas Neues erfahren?«, fragte er schonend, »etwas über Joram?«
Efraim Benesch öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Für einen Moment wirkte er wie ein großer Fisch auf dem Trockenen, bis er schließlich den Kopf schüttelte, als gebe er sich geschlagen, und aus der inneren Brusttasche seines Anzugs ein kleines, in Zeitungspapier eingeschlagenes Päckchen hervorholte. Er wickelte es aus, legte das Papier beiseite und betrachtete das Notizbüchlein mit dem braunen Lederrücken, als sähe er es zum ersten Mal. Eine ganze Weile blickte er darauf, bevor er es Michael reichte.
Michael befühlte das weiche Leder und löste die goldene Schnalle, die den Einband zusammenhielt. Er rückte näher zum Licht der Schreibtischlampe, legte es darunter und blätterte langsam darin, las die ersten Seiten und überflog dann eine nach der anderen, bis er bei einer innehielt, auf der in großen runden Buch staben über das ganze Blatt geschrieben stand: »Zur Aufhebung aller Arten von Zauber: Schreibe auf ein rituell reines Pergament: Es ist der Wunsch vor dir, o Herr, Erbarmer Israels, dass du den Träger, Soundso, dieses Amuletts, aller Arten von Zauber enthebst, ob in Schrift oder Wort ...«
Michael hob seinen Blick und wandte ihn Efraim Benesch zu. »Wo haben Sie das gefunden, Herr Benesch?«, fragte er und bemühte
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