Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
bereits eine große Wandschranktür nach der anderen, die alle mit einer zart vergoldeten Umrandung verziert waren und ausnahmslos quietschten, bis sie gegen die andere stießen.
Michael öffnete die Jalousien. Blasses Licht fiel durch das große Fenster herein, dessen Scheibe der Regen mit Schlammspritzern besudelt hatte, erhellte und vertiefte zugleich das Schwarz des Kleides, das Klara Benesch angezogen hatte, bevor sie auf die Leiter geklettert war und die Wäscheleine an dem Eisenhaken festgebunden hatte. »Ich hole nur schnell Wasser«, sagte Michael zu Efraim Benesch, der immer noch auf dem Teppich zu Füßen des Ehebetts lag, die Fransen des rosa Bettüberwurfs dicht über seiner Stirn.
Die Küche war ordentlich aufgeräumt und still, als wäre nichts geschehen. Auf der Marmorablage, auf einem blendend weißen Handtuch, das neben dem Spülbecken ausgebreitet lag, standen Gläser zum Trocknen, innen noch nass. Es war klar, dass sie erst vor nicht allzu langer Zeit gespült worden waren. Nachdem er sie einer Musterung unterzogen hatte, füllte er eines mit Wasser aus dem Hahn, und nach kurzem Nachdenken ein weiteres und trug beide mit dem nassen Handtuch ins Schlafzimmer. Dort, zu Füßen des Bettes, kniete er sich wieder hin, tauchte die Zipfel des Handtuchs ins Wasser und tupfte damit Efraim Beneschs Wan gen ab. Da jener sich nicht rührte, faltete er das Handtuch zu einem schmalen Rechteck, legte es ihm auf die Stirn und beobachtete, wie Wasser von den Rändern auf die großen Ohren hinuntertropfte und von dort auf den weiß gefliesten Boden neben dem Teppich. Er ertappte sich dabei, dass er sich fragte, wie wohl der ursprüngliche Fußboden aussehen mochte, und versuchte sofort, diesen Gedanken abzuschütteln, allerdings ohne Erfolg. Dann hörte er Efraim Benesch, dessen Hand sich langsam an die Stirn hob, murmeln: »Wenn ich zu Hause gewesen wäre, wäre das nicht passiert. Es wäre nicht passiert«, und mit einer matten Bewegung wischte er sich mit dem Handtuchrechteck über die Stirn. Seine Lider schlossen sich wieder zur Hälfte: »Kann man gar nichts mehr machen? Ist sie tot?«
Michael nickte, und Efraim Benesch riss weit seine farblosen kleinen Augen auf und starrte, überwältigt von Schrecken und Entsetzen, in Michaels Gesicht, der das zweite Glas Wasser an seinen Mund führte, während er seinen Kopf von hinten stützte, und zu ihm sagte: »Trinken Sie, Herr Benesch, der Arzt kommt gleich.« Erst nachdem er einige Schlucke getrunken hatte, setzte sich Efraim Benesch auf, griff nach der Bettkante und versuchte, sich hochzuziehen.
»Bleiben Sie noch einen Augenblick sitzen, nicht gleich auf einen Ruck«, warnte ihn Michael, während er aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Eli die Schubladen aus dem Wandschrank zog, die ebenfalls ein zarter Goldrahmen zierte. »Wir dachten, dass Joram zu Hause sei«, rief er ihm ins Gedächtnis.
Efraim Benesch lehnte sich an das Bett, die Beine vor sich aus gestreckt. »Sie müssten in ihrem Zimmer sein, er und Michelle«, sagte er mit matter Stimme und drehte sein Gesicht leicht nach hinten, bis er die nackten Fußsohlen entdeckte und die Hände vors Gesicht schlug. »Aber vielleicht sind sie kurz weggegangen, es scheint, als ob niemand zu Hause –« Da hörte er mitten drin zu reden auf, hielt den Atem an und stand mit einem Satz auf, sich am Bettrand abstützend, »man muss in Jorams Zimmer nachschauen«, rief er mit rauer Stimme, »wer weiß, was ...« Und schon eilte er aus dem Schlafzimmer. Michael folgte ihm bis ans Ende des Ganges und stand neben ihm, als er die Tür zum Zimmer seines Sohnes öffnete und auf der Schwelle verharrte. Einen Moment lang blickte er sich um und wandte sich dann mit tonloser Stimme an Michael: »Sie sind nicht da.«
»Wo glauben Sie, dass sie sind?«, fragte Michael und spähte in das leere Zimmer hinein. Auch hier gab es einen großen Wand schrank, und alle drei Türen standen sperrangelweit offen. In einer ausgeleerten Schublade war nur eine einzelne verwaiste Socke zurückgeblieben. Efraim Benesch betrachtete den roten Streifen am Bund, hob seine Hand an die Brust und flüsterte: »Er hat gesehen, dass das Notizbüchlein nicht mehr da ist. Er hat verstanden.«
Auf dem Boden, zu Füßen des Schrankes, sowie auf dem ungemachten Bett und dem kleinen Vorleger waren Kleiderhaufen und andere Dinge verstreut. »Sie sind nicht da«, wiederholte Efraim Benesch, und diesmal schwang ein zaghafter Ton der Erleichterung mit, doch er
Weitere Kostenlose Bücher