Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
...«
»Warst du zu schüchtern?«, schlug Michael vor und sah aus den Augenwinkeln, dass Eli Bachars Finger aufs Autodach zu trommeln begannen.
Das Mädchen nickte heftig und biss sich wieder auf die Lippen. »Aber ich habe gehört, wie sie singt«, bot sie dann an.
»Auf einer Hochzeit?«
»Nein«, erschrak sie, »in ihrem Zimmer ...« Und plötzlich erschrak sie noch mehr und verstummte.
»Wenn du draußen gestanden bist?«, tastete sich Michael weiter, »in ihrem Hof?«
»Nicht drin, nicht drinnen«, versicherte sie, »draußen, am Zaun ... wenn ich mit Rosi Gassi gegangen bin.«
»Und beim letzten Mal, am Montag in der Früh, mit dem Mantel und dem Taxi?«, fragte er.
Wieder nickte sie und heftete einen erwartungsvollen Blick auf ihn.
»War sie da wie immer? Wie jeden Morgen?«
»Ich hab’s nicht gut gesehen«, entschuldigte sich das Mädchen, »sie ...« Ihre buschigen Augenbrauen zogen sich eng zusammen, und plötzlich leuchtete ihr breites Gesicht auf, und die Sommersprossen auf ihren Wangen glühten: »Sie hat am Handy geredet, ja, und ihr Gesicht war so nach unten, es war nicht gut zu sehen, und die Haare waren auch davor.«
»Sag mir, Nesja«, sagte Michael ganz langsam und spähte zu Peter hinüber, der mit schräg geneigtem Kopf und zusammenge kniffenen Augen lauschte. Es war schwer abschätzbar, was er von den Worten tatsächlich verstand. »Wenn du mit dem Hund zum Spaziergang hinausgegangen bist, am Abend, oder vielleicht in der Früh, tust du das jeden Abend und jeden Morgen?«
»Mhmm.«
»Und bist immer an Zohras Haus vorbeigegangen?«
Das Mädchen nickte und sah ihn wieder mit diesem erwartungsvollen Blick an.
»Dann hast du vielleicht zufällig gesehen, ob manchmal Gäste zu Zohra gekommen sind?«
Einen Moment schaute sie über die Straße hinüber, und ihre Augen weiteten sich, doch dann zuckte sie mit den Achseln und sagte: »Nein, hab ich nicht. Manchmal ...«, und sie verstummte.
»Manchmal?«
»Manchmal sind sie sie abholen gekommen.«
»Wer? Wer ist gekommen?«
»Sie sind gekommen, mit dem Auto, und sie ist raus. Manchmal hat sie auch draußen gewartet, bis sie gekommen sind.«
»Wer? Leute? Einer, zwei? Ein Mann oder eine Frau?«, drängte Michael.
»Alle möglichen, und auch ein Mann«, sagte Nesja nach längerem Nachdenken und spähte erschrocken zu Peter hinüber.
»Mit einem Auto?«
»Ja.«
»Ein älterer Mann?«
»Weiß nicht«, sagte Nesja, »ich hab sein Gesicht nicht gesehen.«
»In einem großen Auto?«
Sie machte eine unbestimmte Kopfbewegung.
»Du verstehst sicher was von Autos«, schmeichelte er.
»So-so.«
»Erinnerst du dich, was für ein Auto das war?«
»Silbern«, antwortete das Mädchen ohne nachzudenken, »nicht groß und nicht klein, silberfarben.«
»Was, ein Subaru?«
»Nein, kein Subaru, den kenn ich. Und auch Käfer kenn ich und Toyota.« Ihre Augen schweiften zu dem roten Toyota.
»Ich sag dir, was wir machen«, sagte Michael nach kurzer Überlegung, »ich gebe dir und Peter meine Telefonnummer, und wenn dir ...«
»Wenn mir danach etwas einfällt, ruf ich Sie an«, kam ihm das Mädchen zuvor, »so wie ich’s im Fernsehen gesehen hab?«
»Genau, genau wie im Fernsehen, falls dir etwas einfällt.«
»Egal, ob es was Wichtiges oder Unwichtiges ist«, sagte das Mädchen bestimmt.
»Genau. Ich sehe, dir bleiben die Filme, die du im Fernsehen siehst, genau im Gedächtnis«, lobte sie Michael und reichte ihr einen Zettel mit seiner Handschrift. Danach gab er einen weite ren Peter, beugte sich nahe zu ihm und sah ihm in die Augen. »Sie weiß mehr«, flüsterte er ihm zu.
»Undoubtfully«, erwiderte Peter und blickte das Mädchen an, »she knows a lot.«
»Und würde sie mit Ihnen reden?« Michael spähte zu dem Mädchen, das ein Loch in den Bürgersteig hineinstarrte, jedoch ersichtlich bemüht war mitzuhören.
»I can only try«, antwortete Peter und kniff die Augen zu zwei Schlitzen zusammen, »children are unpredictable.«
»Ja, ich weiß«, seufzte Michael und erklärte ihm, dass er sie jetzt nicht bedrängen wollte. Peter stimmte zu, dass es besser sei, sie einstweilen in Ruhe zu lassen, und besonders jetzt, wo ihre Mutter gerade käme, und seine hochgezogenen Brauen wiesen in Richtung der Frau, die mit zwei großen Plastiktüten in Händen die Straße herunterhinkte. Erst nach ein paar energi schen Leinenrucken war der Hund bereit umzudrehen, und in dem Sekundenbruchteil, in dem das Mädchen noch einen letz ten Blick die
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