Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
wissen und fragte, da er daraufhin weiter schwieg: »Was bin ich hier, eine Mordverdächtige?« Und diesmal schlug ihm aus ihrer Frage nicht nur Spott, sondern auch Wut entgegen.
»So könnte man sagen«, antwortete Michael betont gleichmütig, »so könnte man ganz entschieden sagen.«
»Wie bitte?«, rief sie entsetzt. »Ich?! Wie können Sie ... auf welcher Basis? Ich habe Zohra seit über einer Woche nicht gesehen.«
»Das sagen Sie«, sagte Michael und zündete sich eine Zigarette an.
»Was, wollen Sie, dass ich Beweise bringe? Wie kann man etwas beweisen, das ... Ich kann Ihnen nur sagen, was ich zu der Zeit gemacht habe, in der Zohra ... das ist doch völlig unmög lich!«
In diesem Augenblick warf Michael seine brennende Zigarette in den Kaffeebecher, und nachdem er einen Moment dem Zischen gelauscht hatte, beugte er sich über den Tisch und sagte zu ihr, es sei höchste Zeit, dass sie zu reden anfange und endlich zur Sache komme, besonders in Hinblick auf das Telefonat, das sie mit Zohra am Tag ihres Todes geführt habe und auf den heftigen Streit, den sie mit Zohra bei ihrem letzten Treffen gehabt habe.
Mit einem Schlag erbleichte ihr Gesicht, und in den hervorquellenden braunen Augen spiegelte sich eindeutig Furcht. »Woher wissen Sie das? Hat Zohra das ihrem Bruder oder Linda erzählt?«
Michael gab keine Antwort. Er drückte bereits wieder auf den Aufnahmeknopf und bedeutete ihr weiterzusprechen.
Orli Schoschan bestand darauf, den Streit »Diskussion« zu nennen. Zwei, drei Mal wiederholte sie dieses Wort, und einmal benutzte sie auch »Meinungsverschiedenheit« und sprach von Zohras stürmischem Temperament (»Wenn sie wirklich wütend wurde, konnte nichts sie bremsen«), und auch von ihrem entschiedenen Widerstand, die Geschichte »in diesem Stadium« herauszubringen. Am Ende hätte Zohra sicher nachgegeben, und es war doch nur natürlich, dass sie, in ihrer Eigenschaft als Journalistin, das gesellschaftspolitische Potenzial in dieser persönlichen Familiengeschichte sah, die schließlich gewissermaßen exempla risch sei für ein schreckliches Unrecht, das in diesem Staat an den Immigranten aus orientalischen Ländern verübt worden sei; und wie auch ein großes Foto von Zohra im Zentrum des Artikels, mit ihrem schönen Gesicht, und ein paar Worte über ihr musikalisches Talent ihre Sache befördert hätten. Aber Zohra wollte unter keinen Umständen öffentliches Aufsehen, ohne das Einverständnis ihrer Eltern erhalten zu haben, und nicht einmal ihrem großen Bruder, Natanael – wenigstens hatte die Journalistin das gedacht – erzählte sie irgendetwas von dem, was sie entdeckt hatte. »Und ich«, sagte sie bitter, »ich hatte schon die ganze Arbeit gemacht – wissen Sie, was für eine Recherche das hier war?« Sie richtete sich auf ihrem Stuhl auf und verkündete mit finsterem Gesicht: »Aber die Quellen nenne ich Ihnen nicht, wie auch immer, die Quellen gebe ich nicht preis.«
Michael sagte noch immer nichts.
»Zohras Mutter kommt aus gutem Hause, sie ist die Tochter des letzten Oberrabbiners der jemenitischen Juden«, sagte Orli Schoschan, »und deswegen hat man sie gut verheiratet, mit Zohras Vater, der ein Talmudschüler war. Die Mutter war dreizehn, der Vater etwas älter. Sie bekamen ein Baby, das sofort nach der Geburt starb. Stellen Sie sich vor, ein vierzehnjähriges Mädchen bringt ein Kind zur Welt und es stirbt. Können Sie sich so etwas vorstellen?«
Nachdem sie ihn erwartungsvoll anblickte, nickte Michael stumm.
»Und jetzt stellen Sie sich etwas noch viel Schlimmeres vor – dass dieses Mädchen, Ne’ima Baschari, im Transitlager von Aden, auf dem Weg nach Israel, ein zweites Mal ein Kind geboren hat und dann im Auffanglager in Ein Schemer eingetroffen ist, mit einem zwei Monate alten Baby ...«
»Zohra?«, fragte Michael unerwartet.
»Zohra. Die große Zohra.«
»Ist sie auch gestorben?«
»Nein. Anscheinend nicht«, sagte Orli Schoschan und schlug ihre Beine übereinander. »Sie wurde ihnen genommen, das ist mit ihr passiert. Wir sprechen von 1949, Sie wissen, was in diesem Jahr war?«
Michael schwieg und machte ein erwartungsvolles Gesicht.
»Und nicht nur neunundvierzig, bis vierundfünfzig war es möglich, Flüchtlingen Kinder wegzunehmen, nicht nur Jemeniten, auch Rumänen, und sie zur Adoption freizugeben, und den Eltern wurde gesagt, sie seien gestorben. Haben Sie darüber nicht in der Presse gelesen?«
»Habe ich«, versicherte Michael im Ton eines
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