Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
etlichen Jahren hatte Zohra sie gefragt, wo sie hinginge, ohne eine Antwort zu erhalten. Und nicht nur das, sondern ihre Mutter wurde auch noch jedes Mal, wenn sie fragte, böse, regte sich dermaßen auf, dass Zohra nicht weiter fragen konnte. Vor ein paar Monaten erzählte mir Zohra also davon und bat mich, ihr zu helfen, es herauszufinden. Ich sagte ihr, nichts leichter als das. Man bräuchte nicht einmal einen Privatdetektiv oder so etwas, ihre Mutter kenne mich nicht sonderlich gut, denn ich war höchstens zwei- oder dreimal bei ihnen zu Hause, und sogar wenn – ich hätte kein Problem damit zu sagen, dass ich in Sachen Arbeit unterwegs sei. Zohra rief also eines Tages an und sagte: Es ist so weit, sie macht sich fertig. Und ich, ich nahm ein Taxi und wartete beim Haus, fuhr ihr nach zum Busbahnhof und sah, wie sie in den Autobus nach Rosch Ha’a jin stieg.« Orli Schoschan verstummte einen Moment. »Ich sagte mir, dass das sicher mit jemenitischen Geschichten zusammenhänge, denn Rosch Ha’ajin ist, wie soll man sagen, praktisch eine Art Synonym für Jemeniten.«
Michael nickte bestätigend, und als sie nicht weitersprach, fügte er hinzu: »Unbedingt.«
Sie war ihr also bis Rosch Ha’ajin gefolgt und hatte gesehen, wie sie das Haus von Rabbi Kafach betrat. In das Haus hineingehen oder an den Fenstern herumstehen konnte sie zwar nicht, aber sie beobachtete ganz genau vom Taxi aus an der Straßenecke die anderen Leute, die dort hineingingen, und danach (»Das ist nicht so schwer, wie man meint«) fand sie über den Konsumladen und die Nachbarn heraus, dass sich dort jede Woche eine Gruppe von Männern und Frauen zusammenfand, die 1949 aus dem Jemen immigriert waren, über das Transitlager in Aden in das Auffanglager in Ein Schemer. »Was sie da machten und worüber sie sprachen, wusste ich damals nicht, man hätte denken können, es sei so etwas wie ein regelmäßiges Gruppentreffen, aber ich habe die Sache weiter verfolgt, bis ich es herausfand.«
Michael wartete stumm, einen langen Moment.
»Ich kämpfe noch mit mir, ob ich weiterreden soll«, sagte Orli Schoschan plötzlich und lehnte sich zurück, »das ist hochbrisan tes Material, und ich hätte nicht gerne, dass es publik wird, ohne ... ich glaube, da brauche ich vielleicht eine Genehmigung von meinem Verleger, außer ... außer wenn ...«
Michael, der wusste, dass sie nun darauf wartete, dass er sie drängte, wartete stumm und reglos.
»Könnte man jetzt und hier ein Abkommen über Exklusivität treffen?«
»Das heißt?«, hakte Michael nach und legte seine Hand an die Tischkante, nahe zu Zila, die sich bereits spannte, »welche Exklusivität genau?«
Da machte die Journalistin eine Bewegung in Richtung des Aufnahmegerätes, und Michael drückte nach kurzem Schwanken auf die Stopptaste. Mit sehr leiser Stimme erklärte Orli Schoschan, dass sie um die exklusiven Veröffentlichungsrechte an der Geschichte bäte, falls sie sie ihnen gäbe, und stellte eine zusätzliche Bedingung auf: Michael solle sich dazu verpflichten, ihr ein Interview zu geben. »Ein Exklusivinterview«, wie sie klar machte, und ihre hervorquellenden Augen nahmen wieder den blanken Ausdruck an, den er beobachtet hatte, als sie sich im Hof der Bascharis begegnet waren.
Zila riss den Mund auf, doch ein Blick von Michael brachte sie dazu, stumm zu bleiben.
»Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor«, begann Michael und besann sich auf all die höflichen Sprüche, die er sich für derartige Situationen vorbehielt, in denen offener Zorn nichts brachte, »wir befinden uns jetzt schließlich bei einer polizeilichen Vernehmung, nicht bei einem Freiwilligeneinsatz.
»Sie entschuldigen bitte vielmals«, entgegnete die Journalistin darauf in einem Ton, der dem seinen so sehr glich, dass man wie der hätte denken können, sie mache sich über ihn lustig, doch ihre Augen verrieten keinerlei Spott oder Ironie, »Sie haben mich nicht mit einer offiziellen Vorladung hierher bestellt, ich werde nicht offiziell oder unter Hinweis auf meine Rechte vernommen, Sie sagten, ich solle kommen, und ich war einverstanden.«
»Das ist nicht exakt«, setzte ihr Michael auseinander, »jeder, der mit diesem Fall zu tun hat, wird zu einer Aussage vorgeladen, nur haben wir uns in Ihrem Fall das formale Procedere erspart, da wir den Eindruck hatten, Sie seien eine enge Freundin, die ein Interesse daran habe, uns bei der Ermittlung zu helfen, aber ...«
»Aber was?«, verlangte Orli Schoschan zu
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