Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Kopf hatte!«
»Sie bewahrte die Treue?«
»Ja, als ob, wie soll ich sagen, als ob sie auf jemanden wartete, der, sagen wir mal, in Gefangenschaft wäre.«
Zila, die den Kopf von ihrem gelben Block gehoben hatte, musterte Orli Schoschan mit einem eingehenden Blick. Ihre langen Silberohrringe klingelten zart, als sie leicht den Kopf schüt telte und ruhig sagte: »Sie haben vor ein oder zwei Wochen in der Beilage die Frau dieses Offiziers interviewt, der sich in der Gefangenschaft der Hizbollah befindet, nicht wahr?«
»Ja, vor drei Wochen, aber was hat das damit zu tun?«
»Das hat etwas mit Ihren Assoziationen zu tun, über Treue und das alles«, erläuterte Zila.
»Nein, aber nein«, griff Michael hastig ein, »das interessiert mich gerade. Haben Sie wirklich keinerlei Ahnung, was in Ihnen diesen Eindruck erweckt, dass sie jemandem die Treue bewahrte?«
Orli Schoschan schüttelte den Kopf: »Vielleicht kommt mir ja noch ein Gedanke im weiteren Verlauf.«
»Ich werde Ihnen sagen, weshalb ich frage«, sagte Michael in beiläufigem Tonfall, als erwähne er eine bekannte Tatsache, »wegen der Schwangerschaft.«
Es bestand kein Zweifel am Entsetzen und an der Erschütterung, die sich auf dem Gesicht der Journalistin abzeichneten. »Schwangerschaft?! Wie Schwangerschaft? Welche Schwangerschaft? Zohra schwanger?!«
»Zwölfte Woche, Beginn des vierten Monats«, präzisierte Michael, wobei er sie nicht aus den Augen ließ.
Die schmalen Lippen der Journalistin zuckten, aus der Tiefe ihrer Kehle brach ein Laut wie der Ansatz eines Schluchzens, eines unbeholfenen, zurückgedrängten Weinens, das aber nicht zum Ausbruch kam.
»Zohra? Zohra war schwanger?!« Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war nun eindeutig gekränkt.
»Wir haben es bei der pathologischen Untersuchung entdeckt.«
»Kann ich Wasser haben?«, bat sie mit brechender Stimme und deutete in Richtung der Mineralwasserflasche. Zila legte den gelben Block auf ihren Knien ab und goss ihr etwas in einen Plas tikbecher, den sie aus der Kiste zu ihren Füßen zog.
»Sie wussten es nicht?«, fragte Michael mit schräg gelegtem Kopf, während sie trank. Ihre Hand zitterte so, dass sie sie mit der anderen stabilisieren musste. Sie schüttelte den Kopf.
»Ist das sicher?«, flüsterte sie.
»Zwölfte Woche.«
In ihren Augen schien nun auch Wut auf, als sie sagte: »Ich verstehe nicht, wieso sie mir das nicht erzählt hat, wir standen uns so nah, ich dachte, wir wären... und jetzt stellt sich raus, dass ... in anderen Dingen hat sie sich nur mir anvertraut.«
»Andere Dinge?« Michael spannte sich. »Welche anderen?«
»Zu mir kam sie mit der ganzen Familiengeschichte, und ich habe ihr wirklich geholfen ...«
»Welche Familiengeschichte?«
»Sie sehen«, entgegnete Orli Schoschan, und unverhohlene Genugtuung schlich sich in ihren Ton, »Sie wissen nicht alles.«
»Zweifellos nicht alles. Eigentlich sehr wenig, und Sie, und vielleicht nur Sie, können uns helfen, speziell mit Ihren Talenten«, sagte Michael und vermied es, Zila dabei anzuschauen, um den Widerwillen, den diese plumpe Schmeichelei sicher bei ihr auslöste, nicht zu sehen. Doch Orli Schoschan schluckte den Köder.
»Zohra hat mir gesagt, dass es in ihrer Familie ein Geheimnis gebe, dass etwas passiert sei, über das nicht gesprochen wird. Ich hätte das nie ohne ihre Erlaubnis erzählt«, sagte sie und ließ den Kopf hängen, »aber wegen des Mordes, weil Zohra ermordet worden ist, und wegen dieser Geschichte mit der Schwangerschaft ... da ist etwas in mir zerbrochen ... ich kann das alles nicht mehr für mich behalten. Und ich hätte am Ende sowieso eine Reportage darüber gemacht, das mache ich auch noch. Mit einem vollen Porträt von Zohra. Ich sag’s Ihnen gleich, damit Sie nicht behaupten können, ich hätte es Ihnen nicht gesagt.«
»Aber nicht, bevor wir den Fall gelöst haben«, warnte Zila, wofür sie einen äußerst scharfen Blick von Michael erntete, der erleichtert aufatmete, als Orli Schoschan den Einwurf ignorierte und fortfuhr: »Eine Artikelserie, nicht einen oder zwei. Aber das kommt noch. Zohra wollte, dass ich ihr, wegen meines Berufs, in dem ich ihrer Meinung nach gut bin, bei der Aufdeckung helfe, denn alle Gespräche mit ihrer Mutter führten zu nichts. Zohra hat mir erzählt, dass ihre Mutter alle ein bis zwei Wochen immer verschwand, keinen Ton sagte, bloß etwas mehr kochte, die Töpfe auf dem Herd hinterließ und für einen ganzen Tag lang wegblieb. Schon vor
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