Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
jenem Augenblick in den Sinn kam, in dem er den schmalen Gang im oberen Geschoss des Zwirnbaus entlanggegangen war und unten Tirza mit jemandem gesehen hatte –, sondern auch, weil er todmüde war und seine Füße schmerzten, seine linke Schulter ihn peinigte und vielleicht auch der Arm, und weil alles, was er wollte, war, dass sie ihn endlich nach Hause gehen ließen, um zu schlafen.
»Ich bin nicht einmal sicher, dass es Tirza war«, hatte Matti Cohen am Anfang ihres Gesprächs gezögert. »Es war kaum Licht dort, dieser Gang ist immer dunkel«, hatte er in flehendem Ton gesagt, doch dieser Ilan Katz, der neben ihm saß und ihn mit seinen schmalen Augen, die von einem Netz feiner Fältchen umgeben waren, mit einem Ausdruck von Geduld, Glaube und Hoffnung fixierte, als hätte er nichts gehört und dächte überhaupt nicht daran, von ihm abzulassen, saß nur da und sagte mit unverwandtem Blick zum tausendsten Mal: »Ganz egal, was, alles, woran Sie sich erinnern, ein Fleck an der Wand, ein Riss in einer Bodenplatte, alles.«
Wegen seiner Hartnäckigkeit, nur damit er ihn endlich gehen ließe, sagte Matti Cohen am Ende: »Ich glaube, er war größer.« Er trank einen Schluck Wasser und fügte hinzu, »der, der mit dem Rücken zu mir gewandt war, war größer als sie.«
»Aha!«, rief Ilan Katz jubelnd. »Sehen Sie? Sie erinnern sich ja doch!« Daraufhin warf er die nebulöse Zeichnung mit den zwei Silhouetten beiseite und skizzierte wieder, sehr schnell, zwei Gestalten auf ein neues, leeres weißes Blatt: die einer Frau und die eines größeren Mannes. »Sehen Sie? Aus jedem Wort erfährt man etwas«, schloss er voll Genugtuung und kniff die Augen zusammen. »Sie sagten ›er‹, und somit ist es klar, dass Sie gesehen haben, dass es ein Mann war, das heißt, er wandte ihr sein Gesicht zu, griff sie vielleicht an, sogar wenn Sie selbst das nicht wissen. Kommen Sie, jetzt geben wir ihm noch ein paar Eigenschaften, gemäß Ihrer Erinnerung. Wir erinnern uns immer an mehr, als uns bewusst ist«, sagte er in väterlichem Ton.
Die Ereignisse an diesem Morgen, nach einer schlaflosen Nacht, das rote Gesicht des Kleinen, der vor Fieber glühte und nicht aufhörte zu husten, und Malkas Hysterie – was für eine Art Mutter hatte sein Sohn bloß, ständig nur ratlos –, die Nachricht über Tirza und diese ganzen Leute, die ununterbrochen baten, drängten, verlangten und forderten, das Gerede und die Drohungen – all das hatte ihn erschüttert. Sogar Hagar, die ihn auf seiner Rückfahrt vom Hadassa-Krankenhaus am Mobiltelefon erwischt hatte und ihn vor jedem Versuch, Bennis Produktion einstellen zu lassen, warnte, hatte einen schlechten Geschmack in seinem Mund hinterlassen. Er hatte zwar zu ihr gesagt: »Droh mir nicht«, ihr auch versichert, »mir droht man nicht«, und sogar hinzugefügt, »kein Gericht wird da helfen«, doch das Gespräch mit ihr hatte ein Gefühl schwerer Bedrängnis in ihm zurückgelassen. »Du bist ein herzloser Mensch«, hatte sie ihm vorgehalten. Warum herzlos? Waren Verantwortungsgefühl und Herzlosigkeit das Gleiche? Wer wollte ihm sagen, verantwortlich sein hieße böse sein? Alles in allem hatte er ein Gefühl für Verantwortung, und man hätte denken können – was wollte er denn eigentlich schon? Es war doch nicht das Geld seines Vaters, er machte nur seine Arbeit, wie es sich gehörte. Aber es widerstrebte ihm zutiefst, der allseits verhasste Hahnzudreher zu sein. Alle im Sender dachten, er sei der Böse, nur weil er das Geld verteilte. Niemand wusste, dass er ein guter Mensch war, der Streit und Zwist verabscheute. Schon längst hätte er diese Arbeit aufgeben sollen. Er hatte nicht die richtige Aufgabe, war nicht am richtigen Platz, er hätte Buchhalter oder wenigstens Steuerberater sein sollen. Er hatte angefangen, Buchhaltung zu lernen, und wäre nicht Tamar gewesen, die ihn mit der Kleinen nach zwei Jahren Ehe verließ und ihn seitdem, schon acht Jahre lang, auspresste … da half überhaupt nichts. Er hatte sogar zu ihr gesagt: »Wenn du gehen willst – dann geh, lass die Kleine da und geh«, worauf sie gegangen war, aber zum Rechtsanwalt, der ihm auch noch die Seele aus dem Leib zerrte, alles hatte er ihr geben müssen, einfach alles, die halbe Wohnung, die halben Ersparnisse, Unterhaltszahlungen, und darüber hinaus hetzte sie auch noch das Mädchen gegen ihn auf. Wäre sie nicht gewesen, hätte er schon längst einen Abschluss gemacht, wäre diplomierter Buchprüfer mit seinem
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