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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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zuckte die Achseln. »Schon gut, bei meines Vaters Nachkommen muss ich immer damit rechnen. Ich hatte bloß gehofft, du wärst irgendwie anders. Dir ist doch klar, dass du verlangst, ich soll meinen Bruder umbringen helfen?«
    Ich nickte. »Das ist mir klar. Tut mir leid.«
    »Und wieso sollte ich das tun?«
    »Weil es getan werden muss«, sagte ich leise, »und weil er die Regeln gebrochen hat.«
    Die Luidaeg sah mich lange an, dann nickte sie. »Manchmal bist du ziemlich schlau. Das hast du verdammt noch mal nicht von deiner Mutter. Komm rein.« Sie drehte sich um und marschierte ins Dunkel. Ich folgte ihr. Was sollte ich auch sonst tun?
    Sie führte mich in die Küche, öffnete den Kühlschrank und nahm ein Glas heraus, auf dessen Boden etwa ein Esslöffel weiße Flüssigkeit schwamm, die glitzerte wie flüssige Diamanten. Sie stellte das Glas auf die Anrichte, zog ein rostiges Messer aus der Spüle und sagte: »Was ich für dich alles mache.« Dann holte sie aus und hieb sich mit Schwung das Messer quer übers Handgelenk.
    Ich zuckte unwillkürlich zurück. Die Luidaeg biss die Zähne zusammen, hielt den Arm nach unten und blutete in das Glas, bis das Weiß sich mit leuchtend roten Strähnen durchsetzte. Die beiden Flüssigkeiten schienen sich nicht zu verbinden, sondern nur umeinanderzuwirbeln. Es sah aus wie eine gruselige Zuckerstange. Der Tod aus Diamanten und Rubinen.
    Als das Glas halb voll war, zog sie ihren Arm weg und wickelte ein Handtuch darum, wobei sie leise fluchte. Ohne mich anzusehen, sagte sie: »Trink das.«
    »Was bewirkt es?« Ich nahm das Glas, betrachtete seinen Inhalt und zögerte. Nennt mich paranoid, aber das Blut einer Erstgeborenen ist machtvolles Zeug. Ich wollte gern das Kleingedruckte kennen, bevor ich unterschrieb.
    »Bewirken? Oh, nicht viel.« Sie lachte freudlos auf. »Es bringt dich bloß auf den Blutpfad. Das ist der letzte, der dir noch offensteht, so wie du bist. Und Toby, dabei gibt es keine Hintertürchen. Keine Kerzen. Keine Rettung.« Die Luidaeg klang fast flehend. »Überleg’s dir lieber anders. Lass ihn in Ruhe. Bleib am Leben.«
    »Geht es Katie besser?« Ich nahm den Blick nicht von dem Glas, sah zu, wie die Flüssigkeit glitzerte.
    Die Luidaeg schwieg eine ganze Weile. Schließlich sagte sie: »Nein, kein Stück.«
    »Wird es ihr helfen, wenn ich ihn töte?«
    »October – «
    »Wird es ihr helfen, wenn ich ihn töte?«
    Sie seufzte. »Möglicherweise. Wenn er stirbt, müsste sein Einfluss auf sie spürbar nachlassen, selbst wenn er nicht restlos verschwindet. Ohne diese Beeinträchtigung kann ich vielleicht den Schaden reparieren, den er angerichtet hat.«
    »Dann kann ich es mir nicht anders überlegen.« War ich allen Ernstes bereit, für ein einzelnes menschliches Mädchen zu sterben?
    Das Blut meiner Tochter war zu dünn, als dass man ihr die Wechselbalg-Entscheidung angetragen hätte. Somit war auch sie ein einzelnes menschliches Mädchen. Ja, ich war bereit. Für ein einzelnes menschliches Mädchen, und für all die Kinder, die nicht gerettet wurden … und auch für all die anderen Kinder, die gar nicht erst dahin kommen sollten, gerettet werden zu müssen.
    »Also gut, Toby. Es gibt nur einen Ausweg, wenn du gehst. Wenn du ihn töten kannst, sollte das reichen, um die Gebühr zu begleichen, und du kommst zurück. Wenn nicht … der Blutpfad fordert seinen Tribut.«
    »Also er oder ich.«
    Sie nickte. Ihre Augen waren braun und menschlich und tief umschattet. Sie sah müde aus. »Er oder du«, bestätigte sie.
    Ich warf ihr ein Lächeln zu, hob das Glas und trank. Die Flüssigkeit schmeckte wie heißes Blut mit kaltem Salzwasser, zusammengekippt, aber unvermischt. Ich wartete zwar auf den Rückstoß vom Blut der Luidaeg, aber das bereitete mich nicht wirklich darauf vor. Nichts hätte das vermocht.
    Die Luidaeg wurde geboren, ehe ein Großteil der Welt überhaupt lernte, die Zeit zu messen. Sie hatte Aufstieg und Fall von etlichen Reichen erlebt, als sie noch an der Hand ihrer Mutter ging und unbeschwert lachte. Ich empfing keine Erinnerungen – Titania sei Dank dafür, denn daran wäre ich wohl zerbrochen – , aber ich bekam urplötzlich die zerschmetternde Wirkung von Zeit zu spüren, Zeit, endlose Zeit, die durch mich hindurchrauschte, während die Welt sich in blutroten und salzweißen Spiralen drehte. Ich schmeckte Blut, doch ich wusste nicht, ob es ihres war oder meines oder das Blut der Zeit selbst, brennend und bitter auf meiner Zunge.
    Dann

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